Charlie – Episode 17: Angst

Es kamen zwei Beamte in Zivilkleidung, wiesen sich als Kommissar Witten und Hauptkommissar Müller aus. Sie setzten sich erst einmal mit uns an den Tisch und unterhielten sich mit uns.„Also Frau Karduck, wann haben sie denn ihre Tochter das letzte Mal gesehen?“„Gestern Abend, wir haben zusammen zu Abend gegessen und dann ist sie auf ihr Zimmer gegangen.“, antwortete Birgit.„Und fiel ihnen irgendetwas ungewöhnliches bei ihr auf.“, erkundigten sich die Polizisten.Birgit dachte kurz nach, dann seufzte sie: „Naja … was ist bei einem Mädchen in dem Alter schon gewöhnlich. Aber wenn ich recht nachdenke, dann war sie ein bisschen nervös. Normalerweise sitzen wir Abends, wenn wir allein zusammen sind, noch zusammen im Wohnzimmer und reden viel. Aber in der letzten Zeit … überhaupt nicht mehr. Ich habe das jedoch darauf zurückgeführt, dass sie …“, jetzt sah sie kurz zu mir: „ … jetzt eine Beziehung hat. Da erzählt man ja den Eltern nicht mehr alles.“„Haben sie schon mit ihrem Freund gesprochen?“, fragte der Polizist und Birgit lächelte etwas versonnen: „Ja, ihre Freundin sitzt neben ihnen.“Die beiden Polizisten sahen mich irritiert an und ich setzte dasselbe versonnene Lächeln auf wie Birgit eben. „Ihr seid … Freundinnen, oder … “„Wir sind ein Paar.“, erklärte ich kurz und der ältere der beiden Polizisten nickte stirnrunzelnd, während der etwas jüngere mir wohlwollend zunickte. Dann fragte der ältere, der das Gespräch alleine zu führen schien: „Gut, also weißt du irgendwas? Hast du eine Idee, warum Ines weggelaufen sein könnte, oder wo sie sein könnte?“Ich schüttelte den Kopf: „Alle von denen ich wüsste, hab ich schon gefragt.“„Um wen handelt es sich denn?“, erkundigte er sich. Ich seufzte schwer und erzählte ihnen kurz von der Beziehung von Ines zu Herrn Altmeyer. Natürlich nicht alles, sondern nur, dass Ines ein besonderes Verhältnis zu ihm hat, durch das ganze Mobbing was in der Schule stattgefunden hatte. Bei dem Thema ‚Mobbing‘ wurden die Polizisten hellhörig. Ich erklärte ihnen dann, dass sich dies entscheidend geändert – seit dem die Klasse begriffen hatte, dass es so nicht weiter gehen konnte. Mehr konnte ich aber nicht beitragen, denn ich wusste selbst nicht, warum Ines abhauen sollte. Ich glaubte auch nicht, dass Ines weggelaufen war. Warum sollte sie das tun? Wüsste ich doch nur, was in ihr vorging, was sie gestern … Ich stockte, riss die Augen auf und sprang auf. Die drei Erwachsenen sahen mich erschrocken an, dann entschuldigte ich mich kurz: „Ich … mir ist was eingefallen. Moment.“Ich rannte schnell in Ines Zimmer, riss ihr Kopfkissen vom Bett und griff nach dem Buch. Im selben Moment wurde mir klar, dass niemand außer mir lesen dürfte, was Ines hier hinein geschrieben hatte. Nicht ihre Mama, nicht die Polizisten. Ich steckte das Buch schnell in den Hosenbund und ging zur Toilette, wo ich mich einschloss. Dann zog ich das Buch heraus und schlug die letzte Seite beschriebene Seite auf. Zu meinem Entsetzten waren fast die letzten 2 Monate herausgerissen. Warum sollte Ines das tun? Ihr Tagebuch war ihr Heiligtum! Den einzigen Grund den ich mir denken konnte war, dass sie wirklich abgehauen war und nicht wollte, dass irgendwer dahinter kam, was sie mit Moritz hatte. Aber dann verstand ich nicht, warum sie ihr Tagebuch überhaupt zurückgelassen hatte. Warum es nicht einfach mitnehmen. Ich brachte das Buch wieder in ihr Zimmer und kam geknickt zurück zu den Polizisten. Ich erzählte ihnen von Ines Tagebuch und dass sie die Seiten herausgerissen hatte. Der Jüngere Polizist gab gerade per Funk an die Leitstelle die Order, Ines Handy zu Orten. Aber offenbar dauerte so was und musste erst noch genehmigt werden, denn eine Antwort bekamen wir nicht. Wäre ja auch zu schön gewesen. Ich konnte den Polizisten ansehen, dass sie nicht glaubten, dass Ines was zugestoßen sei. Ich hoffte auch, dass es so war, wüsste auch nicht, wer Ines etwas antun so …Ich griff zu meinem Handy und schrieb Jan an: „Wie geht’s Anna, schon was neues?“Es dauerte eine ganze Weile, bevor Jan antwortete: „Nein, nichts neues. Wo bist du? Warum bist du heute einfach abgehauen? Ist Ines krank?“Okay, Anna war also nicht plötzlich aufgewacht und hatte Ines aufgelauert. Selbst wenn sie aufwachte und sich an alles erinnern würde und dann auch noch so genesen, dass sie einfach aufspringen könnte, wäre würde sie von Hamburg kaum so schnell nach München kommen. Ich verwarf den Gedanken wieder, weil ich auch niemandem erzählen konnte, was in Schottland wirklich passiert war.Dann dachte ich an Jan, ob er etwas vermutete. Aber mit ihm war ich die ganze Nacht zusammen. Außerdem glaubte ich nicht, dass Jan auch nur daran dachte, das Ines seine Schwester die Brücke heruntergestoßen hatte. Wenn das irgendwann einmal rauskommen sollte, dann würde vermutlich alles zusammenbrechen was mir und Ines lieb und teuer war. Den Gedanken im Kopf hatte ich plötzlich eine Eingebung. Was wenn Ines auf dem Weg nach Hamburg war. Wenn sie … jetzt wurde es echt unheimlich … das zu Ende bringen wollte, was sie begonnen hatte. Für Ines stand fast noch mehr auf dem Spiel als für mich, wenn Anna wieder aus dem Koma erwachte. Mir wurde schlecht und ich sah zu Birgit. „Charlie … was ist los?“, fragte sie als sie meinen Gesichtsausdruck richtig deutete. Ich starrte sie an, doch konnte ihr unmöglich von der Beziehung zwischen Ines und Moriz erzählen. Sie würde sicherlich dagegen sein und das öffentlich machen. Was ich aber tun konnte, war ihr die Wahrheit zu erzählen, was Ines in Schottland getan hatte. Sie würde ihre Tochter nicht verraten. Aber wenn ich falsch lag, dann würde ich Birgit das schrecklichste Geheimnis verraten haben, ohne das es nötig gewesen wäre. Ich haderte mit mir, setzte mich auf einen Stuhl und dacht noch nach, als Birgit mich am Arm fasste: „Charlie … was???“, flehte mich Brigit nun an.„In Schottland …“, begann ich zögernd und Brigit fasste mich fester am Arm: „Rede Charlie!“Ich schloss die Augen: „Die Sache mit Anna … das war kein Unfall.“„Oh Gott!“, flüsterte Birgit und wurde bleich. Sie setzte sich gegenüber von mir auf den Stuhl und sah mich betroffen an: „Ines hatte damit etwas zu tun, oder?“Ich nickte: „Sie hat sie von der Brücke gestoßen. Es war … der Moment, sie wollte eigentlich mir helfen und sie nur festhalten, aber dabei kam es zum Handgemenge und … sie hätte es nicht machen müssen, aber in dem Moment kamen bei ihr wohl all die Jahre hoch … all der Zorn, den sie all die Jahre immer nur heruntergeschluckt hat.“Birgit legte die Handflächen auf das Gesicht und stöhnte schwer auf. Dann flüsterte sie: „Also … wo könnte sie jetzt sein?“Ich blickte Birgit an und flüsterte nur noch: „Anna liegt in Hamburg im Krankenhaus. Wenn sie wieder aufwacht, dann … “Ich verstummte als ich sah, dass Birgit begriff. Ihre Augen weiteten sich und ihr Mund klappte auf. Dann sprang sie vom Stuhl und blieb sofort stehen: „Weißt du wann sie los ist?“Ich schüttelte den Kopf.„Weißt du in welchem Krankenhaus Anna liegt?“, fragte sie mich nun panisch.Ich schüttelte den Kopf: „Nein … nur das es eine gute Neurochirurgie hat.“„Oh Gott.“, fuhr sie hoch, dann griff sie zum Telefon und ließ sich über die Auskunft mit dem Krankenhaus verbinden. Leider mit dem Falschen. Der 6. Versuch bei einer Privatklinik war dann ein Treffer. Offenbar gab es dort eine Patientin mit dem Namen Anna Claus. Birgit nannte ihren Namen nicht, sagte aber explizit, dass Anna eventuell in Gefahr wäre und man auf keinen Fall ein rotblondes Mädchen zu ihr lassen dürfe.Dann griff sie sich den Autoschlüssen und rannte aus dem Haus. Ich eilte ihr nach, aber als wir ihr Auto erreicht hatten, schüttelte sie nur den Kopf: „Nein … du bleibst hier. Vielleicht kommt sie ja doch zurück, dann musst du mich anrufen.“„Aber …“, begann ich doch Birgit ließ mich einfach stehen und fuhr mit quietschenden Reifen davon.Allein blieb ich zurück. In die Wohnung konnte ich nicht mehr, da die Tür hinter mir zugefallen war. Also machte ich mich auf nach Hause. Als ich dort ankam, war ich völlig fertig und lief meiner Schwester in die Arme, die gerade das Haus verlassen wollte. Ohne etwas zu sagen, ging ich zu ihr, fiel ihr in die Arme und begann zu weinen. Larissa war völlig überfordert und brachte mich erst einmal in ihr Zimmer. Unsere Eltern waren noch arbeiten und ich beruhigte mich nur ganz langsam wieder. Dann erzählte ich ihr, wo Ines war und das Birgit auf dem Weg nach Hamburg war um Ines aufzuhalten. Larissa hörte mir zu und fragte vieles nach. Je mehr sie hinterfragte, desto mehr begann ich selbst an der Sache zu zweifeln. Schließlich brachte sie es auf den Punkt: „Charlie, du hast gesagt, auf der Brücke das war im Affekt. Glaubst du echt, Ines wäre dazu in der Lage, Anna einfach kaltblütig im Bett umzubringen? Vielleicht will sie ja nur mit ihr reden. Oder du liegst voll daneben und sie ist einfach woanders. Vielleicht bei ihrem Vater?“Das hatten die Polizisten auch gefragt, aber Ines Vater hatte sich seit Jahren nicht mehr blicken lassen. Natürlich war es möglich, aber das überprüfte die Polizei. Ich zuckte mit den Schultern und zog mein Handy hervor. Kein Anruf, keine Nachricht. Ich seufzte und begann gedankenverloren in den Blättern auf Larissas Schreibtisch zu blättern. Der ganze Schulstoff den ich im nächsten Jahr durchnehmen müsste. Sah nicht groß anders aus, als das was wir jetzt machten. Ich war ganz froh über die Ablenkung und durchforstete ihren Schreibtisch weiter, während sie sich nun auf die Tischplatte setzte und mir dabei zusah: „Freu dich drauf … wird echt toll.“, erklärte sie ironisch.Ich lächelte ihr zu: „Vielleicht ist Ines wegen Mathe weggerannt.“, versuchte ich einen Scherz zu machen. Lari lächelte schwach. „Eher, weil ihre Freundin so schlechte Witze machst.“Ich griff nach ein paar Blättern und warf sie Lari entgegen. Diese lachte auf und schaute, dass diese nicht zu Boden fielen. Vorsichtig legte sie diese wieder zurück, und ich hatte gerade noch einen Spruch auf der Zunge, als mein Blick auf ein Blatt fiel, dass ich ausversehen freigelegt hatte.Erst schaute ich nur neben bei darauf, denn es war nur ein Zettel irgendeiner Veranstaltung. Dann aber fiel mir etwas ins Auge und mein Gehirn brauchte ein paar Millisekunden um eine Verknüpfung herzustellen. Dann, als mir einfiel, wo ich das, was ich dort auf dem Blatt sah schon einmal gesehen hatte, lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Lari wollte gerade die Blätter in ihrer Hand wieder auf den Stapel legen, als ich diesen wegschlug und mir das Blatt schnappte. Meine Schwester sagte irgendwas sehr ärgerlich zu mir, was ich überhaupt nicht mehr mitbekam, so rauschte mir das Blut in den Ohren. Meine Hände begannen zu zittern, als ich begriff, was das hier in meiner Hand bedeutete. Larissa schob sich vom der Schreibtischplatte und fasste mich an der Schulter: „Hallo … Charlie!“Ich schreckte auf. Offenbar hatte sie mich schon mehrmals angesprochen, was ich aber gar nicht mitbekommen hatte. Lari drehte den Kopf um auf das Blatt in meiner Hand zu sehen. Dann seufzte die auf: „Ach Charlie … jetzt male mal nicht den Teufel an die Wand.“„Oder an die Tür…“, flüsterte ich beklommen.„Was?“, fragte Lari und ich schüttelte nur den Kopf und betrachtete das Blatt noch einmal. Es handelte sich um ein Infoblatt einer Veranstaltung zu einem Gedenkgottesdienst. Genau der Gedenkgottesdienst, bei dem Larissa nicht teilgenommen hatte, da sie sich mit Coras Papa im Hotel – mehr oder weniger – vergnügt hatte.Auf dem Blatt waren zwei Fotos von Mädchen, bei denen man auch, wenn man nicht genau hinsah, meinen könnte, dass es sich um ein und dasselbe handelte. ‚Leah und Olivia Hofknecht …‘ stand dort unter den Fotos ‚… vermisst seit …‘ dann kam das Datum vom Sommer letzten Jahres. Ich betrachtete die Gesichter und spürte wie sich ein ganz schlimmes Gefühl in mir ausbreitete. Moritz hatte nie über die beiden Gesprochen. Aber von genau diesen beiden Mädchen hingen Fotos an der Rückseite seiner Arbeitszimmertür. Ines Foto hing dort auch und auch Ines war jetzt verschwunden. „Lari …“, hauchte ich entsetzt und sie blickte mich fragend an. Ich zitterte jetzt am ganzen Körper, während mir Katis Worte wieder in den Sinn kamen: „ … Ich bilde mir ein, Menschen ganz gut einschätzen zu können und vor Moritz … hab ich Angst.“Ich schloss die Augen, versuchte nicht in Panik auszubrechen und sah dann wieder Lari an die vor mir stand. Meine Schwester hockte sich vor mich und sah mir in die Augen: „Im ernst Charlie … Ines taucht schon wieder auf.“„Ich hab mit Moriz geschlafen … und Ines auch.“, sagte ich monoton.Larissa sah mich fragend an: „Wer ist Moritz?“„Herr Altmeyer.“, erklärte ich, da Larissa ihn wohl nicht beim Vornamen kannte.Sie sah mich perplex an, sah kurz so aus, als würde sie auflachen wollen, dann aber besann sie sich: „Wie … du hast … wann? Wieso?“Dann erzählte ich ihr einfach alles. Wirklich alles. Ich erzählte ihr von der Beziehung zwischen Ines und ihm, wie Ines sich in ihn verknallt hatte. Dass ich ihn auch ganz nett fand. Dann die Sache auf dem Speicher mit dem Kuss auf die Nase. Ich wurde deutlich leiser als ich ihr von der Nacht im Hotel erzählte. Ich erzählte ihr auch von den anderen Malen, auch denen, wo er mich einfach genommen hatte, ohne darauf zu achten, wie es mir dabei ging. Larissa hörte sich alles genau an und wirkte schon ganz schön geschockt. Schließlich erzählte ich ihr auch von dem Abend bei Moritz zu Hause und von den Fotos der Mädchen. Dann nahm ich das Blatt wieder in die Hand und flüsterte: „Diese beiden waren auch dabei.“ Als Larissa begriff, was ich damit sagen wollte, setzte sie sich einfach auf den Boden: „Ach du Kacke!“Ich nickte nur, dann flüsterte ich: „Das Problem ist nur … es sind nur Fotos an einer Wand. Wenn ich jetzt zur Polizei gehe und alles erzähle, verliert Moritz nicht nur seinen Job, sondern wandert bestimmt auch ins Gefängnis.“„Ganz sicher.“, bestätigte Larissa.„Was soll ich denn jetzt tun?“, fragte ich hilflos. Larissa dachte angestrengt nach, dann sah sie mich an: „Du bist doch gleich beim Tennis, oder?“Ich nickte. „Dann geh nicht hin. Wir sollten uns mal genauer bei deinem Lehrer im Haus umsehen. Vielleicht ist Ines ja doch da. Und wir sollten … nur zur Sicherheit, mal einen Blick auf diese anderen Fotos werfen.“Ich nickte langsam: „Das ist gar keine schlechte Idee. Wenn Moritz nichts mit Ines verschwinden zu tun hat, dann kann ich ihm erklären, warum ich bei ihm eingebrochen bin. Schließlich hatte ich nur diese Möglichkeit – oder eben die Polizei. Ich denke, dass er dann ein Auge zudrücken wird.“Larissa sah auf die Uhr: „Wann ist Tennis?“„Um 18 Uhr. Und …“, ich seufzte genervt auf: „ … danach sollte ich mit Kati zu ihr nach Hause fahren um auf ihre Tochter aufzupassen.“„Was ist jetzt wichtiger?“, fragte Lari mich und ich winkte ab: „Ich schreib ihr schnell, dass Ines verschwunden ist, sie wird es schon verstehen.“Mama kam um halb sechs um mich zum Tennis zu fahren. Stattdessen fuhr sie mich mit meiner Schwester in die Stadt. Sie stellte keine Fragen, denn ich glaube sie war froh, dass der ‚Streit‘ den es ja nie wirklich zwischen uns gegeben hatte, offenbar beendet war.Dass Ines verschwunden war, erzählten wir lieber nicht, aber sicherheitshalber hatte ich einen Brief mit allen Informationen auf mein Kopfkissen gelegt. Wenn wir bis heute Nacht nicht zurück sein sollten, würde Mama den Brief finden und alles wissen, was ich auch schon Larissa erzählt hatte.Wir gingen natürlich nicht shoppen, sondern geradewegs zum Haus von Moritz, was in der Nähe lag. Auf dem Weg dorthin, hatte Larissa wohl alle Informationen soweit verarbeitet die ich ihr gegeben hatte.„Ich kann es nicht fassen. Ich dachte immer, ich wäre so verdorben, aber jetzt kommt raus, dass du schon längst was mit deinem beschissenen Klassenlehrer hast. Das ist so krank!“„Ja ich weiß … aber das musst du mir nicht noch weiter unter die Nase reiben.“, entgegnete ich. Lari seufzte, dann sah sie mich den Rest des Weges von der Seite an und ich wagte nicht ihren Blick zu erwidern. Sie würde sicherlich niemandem etwas sagen, aber das Thema war zwischen uns noch nicht vom Tisch, das war klar. Das Haus von Moritz wirkte im hellen schon etwas heruntergekommen. Das Haus selbst war noch ganz nett, aber der Garten war total verwildert. Ich konnte mir regelrecht das Gesicht der Nachbarn vorstellen, die Kopfschüttelnd an diesem Schandfleck vorbeistolzierten, denn die Gärten, die hier sonst so waren, sahen ausnahmslos ordentlich gepflegt aus.Glücklicherweise waren die Grundstücke untereinander durch dichte Hecken getrennt, so dass wir relativ unbemerkt einfach am Haus vorbei gehen konnten. Hinten konnte man ins Wohnzimmer sehen, aber zumindest dies war leer. Ich zog mein Handy heraus und schrieb Kati die Nachricht. Fragte auch ob Moritz da war. Sie antwortete fast unmittelbar: „Oh je … kann ich helfen? Kein Problem, deine Freundin geht vor. Moritz hab ich schon gesehen. Ich sag ihm auch Bescheid, dass du nicht kommst.“Ich nickte Larissa zu, dann sahen wir uns nach einem Weg ins Haus um. Auf den ersten Blick würde wohl nur ein Pflasterstein helfen, aber Lari erspähte an einer der Hausseiten ein gekipptes Fenster. Es dauerte nicht lange, bis wir eine Bank dorthin geschoben hatten, und Larissa durch den Spalt das Fenster geöffnet hatte. Ich sah ihr staunend dabei zu und zweifelte irgendwie, ob dies das erste Mal war, dass sie sowas gemacht hatte.Larissa stieg ein, und ein paar Sekunden später entriegelte sie mir die Terrassentür. Dann standen wir im Wohnzimmer. „Schauen wir nach, ob wir Ines hier finden.“, flüsterte Larissa, obwohl das kaum nötig war. Wir suchten nach der Kellertür nur um schließlich festzustellen, dass dieses Haus überhaupt keinen Keller hatte. Die anderen Räume unten waren ebenfalls leer. Oben war auch niemand und so gingen wir enttäuscht ins Arbeitszimmer. Die Fotos hingen nach wie vor an der Wand, der Unterschied jedoch war, dass dort nun auch ein Foto von mir hing. Zwar kein Portraitfoto wie bei den anderen, aber eines, dass er wohl heimlich geschossen hatte, nachdem er mich auf dem Rücksitz des Kombis in Schottland ‚gefickt‘ hatte. Ich saß auf dem Foto immer noch auf der Rückbank und hatte nur das Höschen und das T-Shirt an. Letzteres hatte er mir dabei ja nicht mal ausgezogen. Ich war offenbar gerade dabei mir die Socken anzuziehen. „Was zum …!“, starrte ich entsetzt auf das Foto und sah zu Larissa, die ebenfalls darauf blickte. Ich konnte mich nur schwer beherrschen, das Foto, welches nicht wie die anderen in einem Rahmen steckte einfach von der Tür zu reißen. Aber dann würde ihm auffallen, dass jemand hier gewesen war. Ich schaute mir dann die anderen Fotos genauer an. Leah, Olivia und Ines kannte ich ja. Jetzt war mir auch klar, dass die zwei Fotos nicht zweimal dasselbe Mädchen zeigten, sondern tatsächlich verschiedene. Die drei anderen Fotos zeigten andere Mädchen. Die beiden ganz unten waren entweder auch Zwillinge, oder zumindest Schwestern. Sie sahen sich nicht so ähnlich wie Leah und Olivia, aber hatten beide dieselbe Nasen und Augenpartie. Der Mund und die Haare waren aber anders. Das andere Mädchen wirkte noch extrem Jung. Es war auch das einzige Foto außer meinem eigenen, dass kein Portraitbild zeigte. Das Mädchen erinnerte mich ein wenig an mich selbst, ebenfalls blond und in etwa denselben kürzeren Haarschnitt. Sie wirkte ein wenig androgyn – hatte ebenfalls keine Oberweite. „Wohl seine Hall of Fame“, vermutete Larissa abwertend.„Glaubst du echt, er hat mit all denen geschlafen? Auch mit der kleinen da?“Larissa sah mich schief an: „Bei der ist auch nicht mehr dran als bei dir.“„Ja, danke!“, erwiderte ich grimmig und nahm den Rahmen von der Tür. Da stand kein Name oder Datum drauf, also dass ich ihn öffnete und das Foto selbst herausnahm. Zumindest stand das Datum der Entwicklung darauf. Es war vor 3 Jahren gemacht worden. Wirklich weiter brachte uns das hier aber nicht. Auch hatten weder Larissa noch ich von anderen vermissten Kindern gehört. Andererseits hatten wir auch niemanden gefragt. Ich streckte das Foto wieder zurück und hängte den Rahmen wieder an die Tür. Dann sahen wir uns weiter um. In einem Regal fanden wir ein Fotoalbum, was aber Gott sei Dank keine weiteren Fotos von Mädchen enthielt. Stattdessen waren es Fotos von Moritz mit einer Frau. Interessiert blätterte ich weiter und fand dann auch Fotos von zwei älteren Personen die eine gewisse Ähnlichkeit mit Moritz hatten. Anscheinend seine Eltern. Ich wollte das Buch gerade zuklappen, da fiel mir ein Foto auf, welches Moritz mit seinem Vater zeigte, wie er gemütlich auf einer Terrasse saß und grillte. Es war eines der letzten Bilder auf denen Moritz schon so aussah, wie ich ihn kannte. Was mich aber zögern ließ, war nicht die Tatsache, dass er dort mit seinem Vater posierte, sondern wo er es tat. Ich hatte die Berge und den See im Hintergrund erkannt. Hatte sie selbst erst ein paar Wochen zuvor gesehen. Das war aber nicht alles. Am anderen Ufer des Sees erkannte ich die Umrisse des Gebäudekomplexes. Es war das Sporthotel am Tachinger See. Wenn das Foto hier aber von der anderen Seite des Sees geschossen wurde, musste Moritz dort also eine Immobilie besitzen. Oder es handelte sich um ein Ferienhaus. Ich blätterte im Album zurück und fand nun, wo ich wusste nach was ich suchte, viele Fotos von einem weißen Bungalow am Abschüssigen Ufer. Offenbar war das Gebäude so gebaut, dass es im Hang selbst stand. Auch waren dort alte Fotos in dem Buch, die dieses Haus meistes mit seinen Eltern zeigten, ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch mit seinem Vater. Ich schaute mir das letzte Foto an, sah auf das Datum auf der Rückseite. Es war genau vor 4 Jahren geschossen worden. Danach gab es keine Fotos mehr von seinem Vater. Larissa hatte verfolgt was mir aufgefallen war und begann hinter mir im Schrank die Ordner herauszuholen. Nach ein paar Minuten hatte sie einen Stapel Rechnungen gefunden. Es waren Strom, Gas und Entsorgungskosten für eine Immobile außerhalb von München. Es war wie ich vermutete: Am Überlauf 32, 83373 Taching am See.„Das hätte er doch erwähnt, wenn er da ein Haus besitzen würde.“, sagte ich nachdenklich. Larissa zuckte mit den Schultern, wirkte aber auch nicht überzeugt von ihrer folgenden Aussage: „Gehört wohl auch mehr seinen Eltern.“„Das letzte Foto von seinem Papa ist 4 Jahre alt, das älteste Foto von den Mädchen erst drei.“, bemerkte ich leise. Meine Schwester seufzte schwer auf: „Mir gefällt nicht wie das klingt. Glaubst du, dass Ines eventuell dort ist?“Ich dachte darüber nach, blickte dann wieder zu den Unterlagen in meiner Hand und flüsterte: „Irgendwie kann ich mir das nicht wirklich vorstellen. Zum Tachninger See ist eine ganz schöne Strecke. Und Moritz war heute Morgen in der Schule und hat unterrichtet.“Wir schwiegen beide und dann sagte ich einfach: „Also ich spreche es jetzt einfach mal aus. Angenommen Moritz ist ein total kranker Serienkiller, was ich echt nicht glaube, weil das zu bescheuert wäre. Warum sollte er Ines entführen, sie würde doch vermutlich sogar freiwillig mitkommen.“Wir sahen uns an und Larissa stellte die Frage die mir auch plötzlich im Kopf rumspukte: „Wer sagt denn, dass es nicht genau so war. Vielleicht ist Ines ja freiwillig bei ihm.“Kopfschüttelnd seufzte ich: „Dann versteckt er sie? Aber wovor? Und warum vor mir? Ich weiß doch alles.“Lari schaute sich nachdenklich um, dann fragte sie mich: „Und wenn du gar nicht alles weißt? Wenn es für dich nur so aussah, als würde Ines im Affekt gehandelt haben, aber stattdessen die Sache irgendwie geplant war.“„Neeee …“, zweifelte ich: „ … das war niemals geplant. Da hätte doch alles Erdenkliche schief gehen können. Also wenn ich davon ausgehe, dass Anna irgendwie mit Absicht zur Hütte gelockt worden wäre … ne das glaub ich alles nicht.“„Aber irgendwas ist hier oberfaul.“, stellte Lari klar. Ich nickte: „Ja, mir fällt kein Grund ein, warum Ines sich nicht bei mir melden sollte. Selbst wenn … keine Ahnung … sie abhauen musste warum auch immer.“„Und nun?“, fragte meine Schwester mich. Als wenn ich das wüsste. Trotzdem sah ich sie an und nahm sie kurz in den Arm: „Danke, dass du das hier mit mir machst … das bedeutet mir echt viel. Allein hätte ich das hier nicht gepackt.“Sie nickte nur und räumte dann die Sachen wieder weg. Von der Adresse machte ich noch ein Foto und half ihr dann dabei. Nachdem wir alles wieder ordentlich zusammengeräumt hatten sahen wir uns noch was um. Genug Zeit hatten wir allemal. Im Schlafzimmer durchsuchte Larissa die Schränke und ich schaute mich in einem Abstellraum unter der Treppe um. Irgendwann hörte ich von oben die Stimme von Larissa: „Charlie … das solltest du glaube ich sehen.“Ich hoffte nicht, dass Lari solche Spielzeuge gefunden hatte, die Jan bei seinen Eltern entdeckt hatte, als er nach Kondomen suchte. Larissa stand vor dem Bett und hielt eine Digitalkamera in der Hand. Ich näherte mich ihr und schaute auf das Display. „Oh …“, kommentierte ich das Foto. Es zeigte Ines, mit Lederbändern an das Bett gefesselt vor dem wir gerade standen. Hände und Füße an weiteren Lederriemen gebunden, die an den Bettpfosten befestigt waren. Sie sah aber nichts so aus als würde sie das schlimm finden. Larissa ging die Fotos durch und auf einigen lachte Ines klar. Ein paar Fotos hatte sie offenbar selbst geschossen, sie zeigten Moritz, nackt. „Ach du meine Güte … der passt bei dir rein?“, fragte Larissa geschockt.„Öhm … darüber machst du dir jetzt gerade echt Gedanken?“, fragte ich sie und sie blickte mich nickend an. Ich verdrehte genervt die Augen: „Ja, hab ja gesagt, ich fühle mich danach ganz schön gedehnt.“Wir gingen die Fotos durch, ein paar davon zeigten, wie Moritz in sie eingedrungen war. Es sah schon extrem aus wie dieses Teil in meiner Freundin steckte. Mir wurde aber klar, dass es bei mir nicht anders ausgesehen hatte.„Nimmt Ines die Pille?“, fragte Larissa plötzlich. Ich schüttelte den Kopf: „Er … hatte ne Operation, damit er keine Kinder bekommen kann.“„Wirklich?“„Na, hat er zumindest gesagt, und bisher bin ich nicht schwanger, oder?“Larissa sah mich entsetzt an: „Du hast ohne Schutz mit ihm geschlafen? Dir ist schon klar, dass es auch andere Dinge gibt die man außer Babys von nem Schwanz bekommen kann, oder?“„Jaaaahhh“, seufzte ich und warf Lari einen schuldbewussten Blick zu. Sie seufzte auf, dann schüttelte sie den Kopf: „Würde gerne mal wissen, mit wie vielen Schülerinnen dein Moritz schon gevögelt hat.“„Ich … weiß nicht.“, gab ich zu. Langsam wurde mir klar, wie naiv es war davon auszugehen, dass wir die ersten gewesen sein wollten. Es fühlte sich unschön an, eine von vielen zu sein. Zumindest eine auf seiner Tür-Top-7-Liste.Larissa legte die Kamera weg, dann guckten wir, dass wir aus dem Haus kamen. Wir stellten das Fenster wieder auf Kipp und verließen das Haus hinten über die Trassentür – hoffend, dass er denken würde, er hätte sie nicht geschlossen. „Soll ich ihn fragen?“, schlug ich auf dem Heimweg vor.„Den Altmeyer? Bist du Wahnsinnig. Was wenn es stimmt. Dann bist du die nächste die verschwindet. So oder so wird er doch eh sagen, dass er nichts damit zu tun hat und es alles nur Zufälle sind. Ich würde die Polizei einschalten.“„Ja … nein … das kann ich nicht machen. Was wenn es alles nicht stimmt und Ines wirklich bei ihrem Vater ist … oder so. Dann zerstöre ich das Leben eines Lehrers.“„Ja, eines Lehrers, der mal eben mit seinen Schülerinnen schläft … vermutlich mit gleich jeder zweiten.“, blaffte Lari.Ich schüttelte den Kopf: „Und wenn nicht? Unterm Strich war er ein bisschen grob mit mir im Bett, aber er hat nie was gemacht, wenn ich gesagt habe, ich will nicht. In der Schule ist er eine echte Hilfe und hat mich gegen Anna unterstützt. Ich kann nicht einfach wegen einem Verdacht sein ganzes Leben zerstören …“„Okay … verstehe … aber ich!“, erklärte Larissa und zog ihr Handy aus der Tasche. Ich schlug ihren Arm herunter: „NEIN! Lass den Scheiß! Ich … muss sicher sein.“Larissa sah mich fragend an: „Ach ja? Wie denn? So wie ich das sehe, bist du Nummer 7 auf der Liste. Willst du warten bis er auch dich verschleppt.“„Blödsinn. Aber … ich werde mir das Haus am Tachinger See mal ansehen.“, kam mir die Idee. Larissa lachte auf: „Genau, und Mama fährt dich dahin … glaubst du doch selbst nicht.“Ich schüttelte den Kopf: „Nein, glaub ich kaum … aber Kati vielleicht wenn ich sie Frage.“„Wer?“„Komm einfach mit …“, forderte ich Larissa auf und rannte zur Bahnstation. Mit der Bahn erreichten wir das Haus von Kati recht schnell – zu schnell. Als ich klingelte war mir klar, dass sie nicht wirklich zu Hause sein würde. Anstelle ihr, öffnete Leonie die Tür, auf dem Arm trug sie Emma. „Ähm … Charlie! Hi! Jetzt bin ich n‘ bisschen verwirrt. Kati meinte, du könntest heute nicht.“„Oh … ja. Es geht auch um was ganz anderes.“, stellte ich klar, überlegte und erklärte dann: „Ich wollte Kati fragen, ob sie uns zum Tachinger See fahren kann.“„Wohin?“, fragte Leonie und ich erklärte ihr, dass es der See war, wo auch das Sporthotel lag. Sie nickte zwar, dann fragte sie jedoch: „Warum wollt ihr denn da hin, und wie kommst du darauf ,dass Kati dich fahren kann.“„Weil ich befürchte, dass meine Freundin dorthin entführt wurde.“, stellte ich nachdrücklich fest.Leonie sah mich an, als ob sie so feststellen könnte, ob ich gerade einen dummen Witz machte. Dann aber fragte sie: „Wie kommst du denn darauf.“Ich blickte zu Larissa, dann wieder zu Leonie: „Versprich mir, dass du nicht zur Polizei gehst, wenn ich dir das jetzt alles erzähle, okay?“Leonie sah mich erst erschrocken an, dann nickte sie, öffnete aber die Tür weiter und winkte uns herein. Dann erzählte ich die ganze Geschichte mit allen Details noch einmal. Leonie schloss die Augen und schüttelte öfters mal den Kopf. Schließlich stöhnte sie auf und sagte leise: „Kati hat echt immer die besten Verehrer. Irgendwie hat die kleine es drauf Psychopathen anzuziehen.“„Nein … wir wissen doch gar nicht, ob das, was ich erzählt habe, wirklich so ist. Aber wenn, dann ist Ines vielleicht in diesem Haus am See.“„Gib mir mal die Adresse.“, seufzte Leonie. Ich zeigte sie ihr auf meiner Kamera und sie zog ihr Handy hervor und gab diese bei Google ein. Sie stellte auf Satelliten Ansicht und einen Moment später zeigte das Gerät einem weißen Bungalow von oben. Mitten in einem Wäldchen am Ufer des Sees. „Ein perfekter Ort um mal eben jemanden verschwinden zu lassen.“, sprach Larissa das aus, was wir wohl alle dachten.Einen Moment später kam Kati zur Tür rein. Offenbar hatte sie nicht in der Halle geduscht, denn sie war noch total verschwitzt: „Hey! Charlie! Und Ines hast du auch … ohhh …“, brach sie ab, als sie erkannte, dass das Mädchen neben mir sicher nicht Ines war.„Hey Schatz … wusstest du, dass dein toller Moritz, eine Vorliebe für kleine Mädchen hat?“„Was?“, fragte Kati verblüfft und ihre Mine verfinsterte sich. Dann sah sie auf mich und stöhnte auf: „Oh nein … Charlie … bitte sag mir nicht, dass du was mit Moritz hast.“„Nicht nur Charlie.“, lächelte Leonie auf eine Art, die irgendwie klar machte, dass über dieses Thema nicht das erste Mal diskutiert wurde. „Ines?“, fragte Kati schnell und ich nickte. „Wo ist sie denn?“, fragte Kati besorgt und ihre Sorge wurde noch stärker, nachdem ich auch ihr alles erzählt hatte, was ich wusste. Sonderbarerweise schien sie die Idee gut zu finden, erst einmal nachzusehen, als direkt die Polizei zu verständigen. Ganz im Gegensatz zu Leonie, der ich schon ansah, dass sie bereute mir eben das Versprechen gegeben zu haben.Kati setzte sich erst einmal und nickte dann: „Okay … ich fahr euch hin.“„Sicher nicht!“, lachte Leonie kalt auf. Wenn hier jemand nicht fährt dann du. Wenn da wirklich was dran ist, dann wirst du dich, sicher nicht in Gefahr bringen, nicht mit Emma.Kati seufzte: „Aber …“„NEIN! Nichts Aber! Wenn die beiden jemand fährt dann ich. Denke schon, dass ich besser darin bin, zur Not deinem Moritz eins aufs Maul zu geben, oder?“„Hey … erinnerst du dich daran, dass ich dem Idioten, der Elisabeth erpresst hat, mal ne Blumenvase auf dem Kopf geschlagen habe?“, fragte Kati.Leonie lächelte mild: „Das willst du nicht echt mit den Russen und der Brechstange vergleichen, oder?“Kati hob die Hand: „Ja okay, aber … dann lass mich mitkommen. Ich will nicht das du allein gehst.“„Und Emma? Mensch Kati, die Zeiten haben sich geändert. Wir haben jetzt Verantwortung. DU hast Verantwortung für die Kleine. Darum bleibst du auch hier. Basta!“Kati schaute resigniert auf und Leonie nahm ihr den Autoschlüssel ab, nachdem sie ihr Emma gegeben hatte. „Los geht’s!“, forderte sie uns auf und ich sah meine Schwester skeptisch an. Offenbar hatte sie auch nicht damit gerechnet, dass wir jetzt tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit zum Tachinger See hatten. Leonies Fahrstiel war, um es mit einem Wort auszudrücken: Abenteuerlich. Es war jetzt schon spät geworden, so dass Larissa zuhause anrief und eine Ausrede erfand, dass wir noch unterwegs waren. Meine Eltern waren nicht begeistert, aber da mussten wir jetzt durch. Bis zum Tachinger See brauchten wir eineinhalb Stunden. Dann noch mal 20 Minuten um herumzufahren und die Adresse zu finden. Leonie parkte den Wagen ein bisschen abseits in einem Waldweg und wir stiegen aus. Das Grundstück war mit einem Maschendrahtzaun umgeben, an dem oben noch mal extra Stacheldraht entlangführte. Leonie zog sich ihre Jacke aus, schlug sie um und warf sie einfach darüber.Auch hier hatte ich den Eindruck, es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass Leonie sowas machte. Larissa folgte ihr über den Zaun. Ich kletterte dann ebenfalls darüber und zusammen brauchten wir nicht mal eine halbe Minute für das Hindernis. Das Grundstück war aber schon extrem groß. Den Bungalow konnte man durch die Bäume noch nicht mal sehen. Also rannten wir ein paar Meter weiter, bis der Hügel leicht abfiel und den Blick auf das Gebäude freigab. „Oh das weckt üble Erinnerungen.“, lächelte Leonie kühl, als wir den Klotz aus weißem Stahlbeton und Glas vor uns erblickten. „Warst du schon mal hier?“, fragte ich sie ungläubig und Leonie schüttelte den Kopf: „Nein, aber ich hab früher auch in so einem Haus gewohnt. Das war bevor … ach egal. Ihr wartet hier und ich schau mal, ob ich was sehen kann.“Ich nickte und schaute mir das Gebäude auch genauer an. Licht brannte in keinem Zimmer und so wirkte es ziemlich verlassen. Irgendwas fand ich aber seltsam, konnte nur nicht direkt erfassen, was es war. Das Gebäude hatte diese Hanglage, der Eingang von der Straße war also im Erdgeschoss, dann viel der Hang ab und im Untergeschoss hab es eine große Terrasse zum See hin. Fast die gesamte untere Hälfte des Hauses bestand aus einer gewaltigen Fensterfront. Man konnte aber in der Dämmerung kaum Einzelheiten erkennen. Klar war nur, dass das Haus irre teuer gewesen sein musste. Dass Moritz so was besaß, fand ich echt krass. Vermutlich hatte er es nach dem Tod der Eltern geerbt. „Also wenn ich Moritz wäre, ich würde meine Zeit ja so oft wie möglich hier verbringen … schau mal, da liegt sogar ein Motorboot vertäut. Und dort ist …“, Larissa zeigte gerade auf eine andere Stelle, als wir beide das Geräusch hörten. Wir sahen uns ängstlich an, denn meiner Meinung nach hätte es ein erstickter Schrei von Leonie sein können. Sicher war ich mir aber nicht, doch dass auch Larissa mich jetzt ängstlich ansah, machte es nicht besser.„Was war das?“, fragte sie dann.„Weiß nicht.“, fragte ich ängstlich und starrte mit Larissa zusammen in die Dunkelheit des Waldes. „Da?“, flüsterte meine Schwester plötzlich und zeigte auf eine Bewegung die ich auch bemerkt hatte: „Ist das Leonie?“Eine Gestalt, leicht gebückt schlich am Haus entlang. Dann sahen wir kurz den Kopf und obwohl wir in der Dämmerung nicht genau sagen konnten, wer das war, war doch trotzdem klar, dass es nicht Leonie war. „Fuck!“, schrie Larissa auf als sie das Gesicht sah. Zwar konnten wir nur Umrisse erkennen, aber schon die sahen nicht menschlich aus. Es wirkte eher so, als würde dort ein menschenähnliches Wesen hocken, aber der Kopf schien seltsam verformt zu sein. Dann blickte es in unsere Richtung. Ohne zu überlegen sprangen wir auf und rannten davon.Wir rannten einfach ohne darauf zu achten wohin wir traten und es grenzte schon an ein Wunder, das wir es ohne zu stürzen zum Zaun schafften. Larissa sprang auf den Zaun, bemerkte dann aber, dass Leonie ihre Jacke ja mitgenommen hatte. Schnell warf sie ihre eigene darüber, aber viel zu hoch so dass diese auf der anderen Seite gemütlich nach unten segelte. Ich zog meine aus und warf sie ebenfalls und traf. Leonie sprang wieder auf den Zaun und kletterte schon hoch, als plötzlich etwas auf ihren Rücken flog. Zuerst dachte ich wegen der Federn an einen Vogel, aber weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht, denn Larissa schrie erschrocken auf und ließ den Zaun los. Dann drehte sie sich zu mir um und versuchte mit den Armen an ihren Rücken zu kommen: „Mich … hat irgendwas gestochen … fuck … das brennt.“Geschockt sah ich sie an, blickte zurück in den Wald, wo ich aber niemanden sehen konnte. „Irgendwas … “, begann ich gerade wieder an Larissa gewandt, als sie plötzlich die Augen nach oben verdrehte und wie ein nasser Sack umfiel. „LARI!“, schrie ich auf und riss meine Schwester herum. Das auf ihrem Rücken war kein Vogel. Es war ein Pfeil, wie ich ihn aus dem Fernsehen kannte. In Dokumentationen über Tierparks, wo irgendwer meist große Raubkatzen mit einem Pfeil betäubte. Panisch blickte ich auf das Ding im Rücken meiner Schwester, zog daran und erschrak, als ich bemerkt wie lang die Nadel war. Ein Knacken erklang hinter mir aber als ich mich umdrehte, sah ich niemanden. Ich sprang in einem Satz auf den Zaun und kletterte so schnell ich konnte darüber weg. Ich hatte noch den Eindruck eines Pfeifens im Ohr, als mir irgendwas gegen den linken Oberschenkel schlug, so fest, dass ich das Gleichgewicht verlor und auf der anderen Seite über den Zaun fiel. Der Aufprall tat zum Glück nicht mal weh, aber mein Bein begann plötzlich schrecklich zu kribbeln. Ich sah an mir herab und stellte entsetzt fest, dass ein ebenso schwarz gefiederter Pfeil in meinem Oberschenkel steckte. Ich riss ihn geistesgegenwärtig heraus und sprang auf die Beine – kippte aber sofort um, als mein linkes Bein einfach wegknickte. „Neiiiiin!“, schrie ich entsetzt und begann mit dem rechten Bein und den Armen vom Zaun fort zu krabbeln. Es dauerte nur Sekunden, bis auch mein anderes Bein zu Kribbeln begann und es mir nicht mehr gehorchte. Dann spürte ich wie sich das Gefühl in meinem ganzen Körper verteilte. Das letzte was ich noch sah, bevor mir schwarz vor Augen wurde, war ein alter weißhaariger Mann mit einem seltsamen Gewehr in der Hand, der langsam auf der anderen Seite an den Zaun trat. Er hockte sich locker und lächelte mir freundlich zu, während er sich ein modernes Nachtsichtgerät von den Augen nahm: „Ach wie schön … Besuch … und direkt so niedlich. Da freut sich mein Sohn aber, wenn er gleich kommt.“

Charlie – Episode 17: Angst

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