Lilie der Wüste

Lilie der Wüste Heiße Luft flimmerte über den glühenden Wüstensand. Erbarmungslos brannte die Sonne auf das ausgedörrte Land, trieb alles Lebendige in den Schutz von spärlich vorhandenen Schatten. Der Wind spielte träge mit dem Staub der Wüste und formte kleine Wirbel, die behänd über die Dünen tanzten. Achtlos, wie ein übermütiges Kind, verteilte er seine heiße Fracht auf alles, was auf seinem Weg lag, wenn die Kraft mal nachließDie Menschen flohen in die Kühle und Dunkelheit ihrer Häuser, ersehnten die Nacht, die halbwegs erkleckliche Erfrischung versprach, oder genossen die Pracht ihrer stillen, abgeschiedenen Gärten, die wie Fata Morganas sich aus der Eintönigkeit erhoben.Sanft wölbten sich Stoffbahnen, seltsam filigranen Zelten gleich, in einem dieser kostbaren Gärten, abschirmend gegen die Sonne und milderten ihr hartes Licht. Wie funkelnde Smaragde schillerte das satte Grün der Pflanzen, sich scharf abhebend gegen das grelle Weiß der Zelte. Rote Rosen, weißer Jasmin und seltener Lavendel aus fremden Ländern verbreiteten ihren köstlichen Duft, reich und betörend. Sanft bewegten sich die hohen Wedel der Palmen im Wind und spendeten zusätzlichen Labung.Unendlich kostbares Nass, höchstes und teuerstes Gut dieses Land plätscherte verschwenderisch und kühlend in feinsten Marmorbecken, welche zierliche, bunte Fische beherbergten.Fasima, Herrin ihres Hauses, Lieblingsfrau ihres Mannes, ließ ihre dunklen Augen, scheinbar verschleiert von der Trägheit der Mittagshitze über die 29 ruhenden Frauen und die sie bedienenden Sklavinnen gleiten. Immer wieder schweifte ihr Blick von ihrem Balkon zurück in die Ferne der unendlichen Wüste, der Anblick eingerahmt von Palmen und Oleander.Ein Pavillon von blauer und weißer Seide, verschwenderisch verziert an den Säumen mit goldenen Bändern, Spitze und kostbaren Steinen, schützte ihre üppige Schönheit vor der gnadenlosen und ausdörrenden Sonne. Sklavenmädchen, spärlich in transparente Seide gehüllt, wedelten ihr ausdauernd frische Luft als Labsal zu; reichten abwechselnd kühlen mit Wasser verdünnten Wein, stark gesüßten, heißen Pfefferminztee und kandierte Feigen in goldenen Schalen. Wieder glitten ihre schwarz umrandeten Augen zurück zu den feingliedrigen Gestalten in ihren kostbaren Gewändern, jede ihrer Bewegungen registrierend. Sie, Fasima, war die unumstrittene Herrscherin dieser Welt und keine der raffiniert gesponnen Intrigen dieser Frauen entging ihr. Nur sie allein entschied über das Wohl und Wehe einer jeden von ihnen. Doch heute war es ruhig. Keine heimlichen Blicke, kein Verschwinden. Einfach Ruhe. Scheinbar waren die letzten Tage anstrengend gewesen und die Hitze des Sommer verlangte heute einen zusätzlichen Tribut.Unruhig waren die Gemüter gewesen und dem Unwillen war unverhohlen Luft gemacht worden. Ihr Herr und Gebieter hatte sich eine neue, junge und schöne Frau mitgebracht. Befürchtungen machten sich breit und Eifersucht bestimmte das Denken und Handeln, dass er ein Auge auf sie geworfen hat. Es ließ die Tage vergehen, ihre Eintönigkeit vergessen machend, und band Kraft, wenn es die neue Frau zu schneiden und ihr das Leben zur Hölle zu machen galt. Fasima beobachtete das Geschehen abwartend. Sie wollte sehen, ob sich die Neue einen Stand behaupten konnte oder ein Eingreifen notwendig war. Jetzt jedoch lagen alle Frauen je nach Rang und Ansehen auf Diwans und Kissen wie unwirkliche Wesen eines geheimnisvollen Reiches, gleich dem des Paradieses, bunt wie die mit ihnen konkurrierenden Schmetterlinge dieses Gartens, die sich heute jedoch nicht sehen ließen. Auch die Pfauen und Reiher stolzierten heute nur verhalten umher und zeigten äußerst selten posierend ihre ganze Herrlichkeit.Ein Glockenspiel flirrte durch den Garten und ergänzte das Plätschern des silbrigen Wassers, dass in hellen Fontänen die trockenheiße Luft kühlte und befeuchtete. Wieder ertönte das leichte Spiel wie der Auftakt zu einen entzückenden akustischen Tete-a-tete zwischen dem plätscherndem Nass und dem tanzenden Klimpern.Interessiert schaute Fasima, nur unmerklich den Kopf hebend. Sie konnte jedoch die Herkunft des Glockenspiels so nicht ermitteln, wollte sie nicht offen Interesse kund tun.Das Spiel der zwei blieb nicht lang allein. Eine der Musikerinnen schlug die Leier an, sanft und zart wie der Morgenwind und damit herrlicher Kontrast zur Härte des mittäglichen Wüstenwindes.Fasima konnte sich nicht erinnern, dass Spiel der Musikerin befohlen zu haben. Sie entschied sich jedoch gegen ein Einschreiten und lieh der Melodie ihre Aufmerksamkeit.Eine Zimbel gesellte sich hinzu. Mal entsprach sie dem Spiel der drei, sie ergänzend und bestätigend; mal riss sie aus und schlug ihren eigenen Takt, intonierte eine eigenwillige Harmonie, die dennoch auf markante Weise die Hauptmelodie ergänzte.Fasima bemerkte, dass sie jetzt nicht mehr allein aufmerksam zuhörte. Das Spiel der Musikerinnen genossen jetzt alle Frauen. Unsicher schauten diese immer wieder zu ihr auf, erwarteten den Befehl von ihr, die alltägliche Mittagsruhe zu wahren. Doch Fasima gab keinen Befehl. Sie mochte diese fremde Melodie.Das Tamburin und eine kleine Tamtam gaben einen wellenartigen Rhythmus an, träge und langsam wie der fließende Wüstensand und dennoch unaufhaltsam und alles und jedes durchdringend und umhüllend. Auffordernd schmeichelte er den Zuhörerinnen, baute Erregung in ihnen auf. Wie ein Liebhaber ging er auf sie ein, streichelte ihre samtene Haut.Das Spiel der Melodie, der Harmonien und Disharmonien spannten einen kribbelnden Bogen, der sie umwarb und seufzend auf eine Steigerung der Reize hoffen ließ.Unerwartet wurde der Takt schneller, unwillkürliche Bewegungen der geschmeidigen Leiber provozierend. Plötzlich hielten sie jedoch mit angehaltenem Atem inne, als eine schlanke, in schwarze Schleier gehüllte Gestalt sich wie eine Blüte aus ihrer Mitte heraus entfaltete.So nachlässig wie der Körper der anmutigen Tänzerin verhüllt war, so köstlich verbargen weitere Schleier ihre Identität.Glöckchen klirrten leise, unaufdringlich; betonend die schlangengleichen Bewegungen der Arme, die den vorbezeichneten Weg der Hände folgten. Wie verzaubert streichelten die Blicke der Frauen über die unvergleichlich grazile und bewegliche Gestalt.Wieder wurde der Takt schneller und eine weitere Trommel unterstützte den sich steigernden Rhythmus. In Harmonie der ersten Melodie und im Takt der Trommeln erzählte der Körper der Tänzerin eine Geschichte. Sehnsuchtsvoll wuchs ihre Gestalt in die Höhe, bat den unsichtbaren Liebsten zu bleiben, zeichnete seine Gestalt, seinen Liebreiz. Verführerisch tanzte sie mit ihm durch ihr eigenes erschaffenes Paradies, ihr persönliches Reich der Träume.Im Gleichklang ihrer Körper bewegte sie ihre Hüfte, deutete an ihr Sehnen. Langsam, aufreizend, ihre Haut streichelnd, wanderten ihre Hände über die kreisenden Hüften, betonten die köstlichen Konturen ihres Körpers und verharrten für Wimpernschläge über ihrem Geheimnis.Sinnlich strich sie über ihre Brust, wiegte sich im umhüllenden Klang der von ihr initiierten Melodie, die jetzt ihre Füße mitriss. Wirbelnd um ihre eigene Achse, strebte sie dem Himmel zu und fühlte die atemlosen Blicke ihrer Zuschauerinnen.Mit einem Paukenschlag erstarb jeglicher Laut nach einem Crescendo ekstatischer Schläge der Trommeln, die sanfte Hauptmelodie vollkommen unterdrückend.Erschrocken saßen die von der Vorführung gefangenen Frauen auf, als der Paukenschlag scheinbar jede Kraft aus der Tänzerin gesaugt hatte und diese willen- und spannungslos zu Boden fiel.Einen Atemzug später hörte eine jede von ihnen, dass das Spiel des Wassers, des Glockenspiels und das der Zimbel nicht geendet hatten. Geheimnisvoll und lieblich umspielte die Weise die strapazierten Nerven der erhitzten Frauen, ließ den vielfach angehaltenen Atem entweichen, als sich gleichzeitig fast traumgleich die Schleier bewegten und die Tänzerin wie an Fäden gezogen emporstieg.Fasima saß auf ihrem Diwan, die zierlichen Füße berührten nur zaghaft den seidenen Teppich. Magnetisch angezogen, war sie dem Tanz gefolgt und konnte auch jetzt nicht ihre Augen von der wagemutigen Tänzerin nehmen.Irgendwie schlich sich die Hitze des Tages in die Kühle der Melodie und ließ angenehme Schauer, von kalt und heiß, erregend durch ihren Körper fließen. Eine zittrige Schwüle umhüllte die unwirkliche Szenerie der schwarz umhüllten Frau, deren weißen Arme und Hände komplizierte Muster woben.Zögernd erst, dann mutiger, näherte sie sich dem verbotenen und heiligsten in diesem Reich. Fasima richtete sich jetzt vollkommen auf; erwartungsvoll verharrten ihre Finger am Saum ihres blauen Schleiers, zog ihn von ihren Haaren und ihrer Schulter. Achtlos schwebte er zu ihren Füßen.Fasima wollte sich nicht behindern lassen. In ihr brannte das Verlangen, zu erfahren, was die Tänzerin wünschte. Sie war sich sicher, dass etwas anderes nicht der Grund für diese Aufführung und ihre Annäherung sein konnte.Auch wenn die Nebenfrauen noch immer über die Identität der Frau zu rätseln schienen, so wusste sie schon längst, wer sich ihr mit wiegenden Schritten und wehenden Schleiern näherte.Jeder Schritt brachte sie unaufhaltsam näher und die schwere Musik schuf eine Atmosphäre des Unausweichlichen. Die Sklavinnen hinter Fasima beobachteten alles mit weit aufgerissenen Augen und vergaßen ihre Arbeit. Alles war wie erstarrt, mit zittriger Unruhe erfüllt.Als die Spannung scheinbar keine weitere Steigerung mehr vertrug, stoppte die Musik und die Tänzerin fiel scheinbar ehrerbietig zu Füßen ihrer Herrin. Jedoch verharrte die junge Frau nicht in ihrer Bewegungslosigkeit. Eine kurze Pause nur, dann ahmten ihre Finger das Plätschern des Wassers nach, welches noch immer mit nie zuvor erhörter Präsenz in den Brunnen floss. Schmetterlingsgleich strichen die Finger der Tänzerin über die mit Ringen geschmückten Füße von Fasima, bewegten den luftigleichten Stoff ihrer Hose.Anmutig hob die Frau ihr Haupt und neigte es leicht zur Seite, eine stumme Frage stellend. Fasima betrachtete das schemenhaft erkennbare Gesicht. Spielerisch zupfte sie an dem Saum des verbergenden Stoffes und hob ihn an.Sie kannte schon das Gesicht und wusste um die Schönheit, die dieser Schleier verbarg. Offene, dunkle Augen begegneten den ihren ohne Demut und mit natürlichem Stolz.Unverdorben und rein, befand Fasima. Leicht hob sich die volle Brust in dem engen Mieder und warmer Atem entschlüpfte den zarten Lippen.Diese Frau konnte jederzeit mit ihrer betörenden Schönheit die Lieblingsfrau ihres Herrn werden. Dennoch suchte sie nicht seinen Schutz sondern den ihren. Das war es, was die neue Nebenfrau von ihr begehrte. Sie wollte ihren Schutz und Fasima war sich sicher, dass es keinerlei andere Gedanken gab, die das Mädchen zu dieser Tat bewegt hatten.Fasima beugte sich über das erwartungsvolle Gesicht; leicht bebten die Lippen der Tänzerin und ein wenig Angst schlich sich in die dunklen Augen. Fasima lächelte und entzog das Mädchen für Sekunden der Zeit, als sich ihre Lippen berührten.“Es sei dir gewährt!“, flüsterte Fasima atemlos, als sie die schwere Süße der Lippen der anderen nachschmeckte.Leicht hob sie ihren Arm und Dienerinnen brachten Kissen, die sie am Diwan ihrer Herrin arrangierten. Huldvoll bot Fasima diesen Platz der Schönheit an, den diese anmutig annahm.Erst verwirrt und dann verstehend verfolgten die anderen Frauen das Schauspiel. Erregte Worte wurden geflüstert, welche jedoch gleich wieder unterbrochen wurden.“Musikerinnen, spielt!“, befahl Fasima mit einem bedeutungsvollem Lächeln. Niemand würde es wagen, gegen die Neue zu handeln und damit ihren Wünschen zuwider handeln.Geschmeidig legte sie sich wieder hin, sanft berührte sie das Haar der Jüngeren und strich über den schutzlosen Hals. Dem Spiel folgend, beugte die Tänzerin den Hals zurück und legte ihr Haupt auf den Schoss ihrer Herrin.Fasima küsste schmeichelnd über die geöffneten Lippen und versprach mehr, ehe sie sich trennten.Verlangen verschleierte die Augen des Mädchens während sich seine Brust gleichmäßig hob und senkte.“Lilie“, wisperte Fasima. „Ab sofort sollst du Lilie heißen!“Temperamentvoll drehte sich die Tänzerin um, ihre Herrin genauer betrachtend. Perlenweiße Zähne zeigten ihre kaum bezähmbare Freude. Sichtbar musste sie sich zurückhalten, Fasima nicht zu umarmen. Stattdessen beugte sie ihr Haupt. „Ich bin euer, Herrin.“Fasima betrachtete zärtlich die vollkommene Schönheit unter ihr und nickte.Unwillkürlich und im selben Moment verstehend fügte sie ihre Gedanken als stumme Antwort hinzu: Und ich bin dein!

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