Teil 10 Sie sind gegangen, um die Leiche wegzubringen, ich habe nicht gefragt, wie oder wohin. Als sie wiederkommen, sitze ich neben Narlinea auf meinem Bett, wie eine Aerztin, halte ihre Hand. Ihre Augen sind jetzt geschlossen, sie bewegen sich unter ihren Liedern, ruhelos, aber lebendig. Beim Menschen waere sie jetzt im Traumschlaf. Sie sieht veraendert aus, die unmenschliche Symetrie ihres Gesichtes wohl fuer immer durch die Narbe an ihrer Wange zerstoert. Venarius hat schwarze Erde an seinen weissen Turnschuhen. „Sie wird Hunger haben, wenn sie aufwacht.“ Ich nicke. Daran habe ich auch schon gedacht. Die Vorstellung fuellt mich mit Verlangen, mit etwas Furcht. Sie kann soviel von mir haben, wie sie will. Dazu bin ich da. „Wir werden jetzt nach Duesseldorf fahren, danach zu den anderen Adressen.“ Venarius steht neben mir, schaut auf Narlineas bewegungslosen Koerper. „Wir werden in etwas drei Tagen zurueck sein.“ Wenn alles gut geht, denke ich. Ich habe Angst um ihn, um sie beide. Wie seltsam, ich habe Partei ergriffen, jetzt ist es mein Krieg, so schnell geht das. Seine Augen, sein Gesicht sind so emotionslos wie immer, aber er kann seinen Blick nicht von ihr loesen, will nicht gehen. Er ist der aelteste der zwoelf Brueder, erkenne ich, der Anfuehrer der Neos, der, zu dem alle hinaufschauen. Er einsamste. Dann dreht er sich zur Tuer, laesst sie in meiner Obhut. „Claudia -“ Zum ersten Mal hat er meinen Namen benutzt. Ich drehe mich zur Wohnungstuer, die beiden stehen dort fertig angezogen. Seine Augen halten meine, jetzt erinnern sie mich mehr an Narlineas, etwas weicher. Er ist drei Jahre juenger als ich, denke ich, dass, und Gott weiss wieviele Tote aelter. Er nickt, kurz. Das ist alles. Mehr Bestaetigung werde ich nie von ihm erhalten, egal, was noch kommen mag, kein anderes Zeichen, dass er froh ist, mich am Leben gelassen zu haben, dass ich mir mein Leben verdient habe, haerter dafuer gekaempft habe, als vielleicht die anderen Famulas. Aber es reicht. Es ist mehr, als ich erwartet haette, und mehr, als mir zusteht. Ich nicke zurueck. „Pass auf sie auf.“ sagt er. Der andere Demonius bleibt summ, nickt nur. Er geht zuerst durch die Tuer. Ich kenne immer noch nicht seinen Namen. Narlinea schlaeft noch zwei Tage, wenn es wirklich mit dem menschlichen Schlafen zu vergleichen ist – ihre Augen bewegen sich hinter den Lidern ohne Pause, ohne Rast, ein einziger, endloser Traum. Ich liege zusammengerollt neben ihr, mein Kopf an ihrer Schulter, und warte. Ihr Herz schlaegt langsam, regelmaessig, menschlich. Dann wacht sie auf, mitteln in der Nacht, dreht sich zu mir. Wir schauen uns in der Dunkelheit lange in die Augen, nehmen uns dann in den Arm, halten uns bis zum Morgen. Ich koennte weinen. Sie wird wieder gesund. Am naechsten Morgen fuehrt sie mich ins Wohnzimmer. Inzwischen habe ich die Scherben weggeraeumt, den notduerftig geflickten Rahmen neu eingesetzt, die Splitter weggefegt. Sie geht etwas unsicher, ich setze mir den Knebel selbst ein, muss ihr Helfen, mich in den Folterrahmen zu binden. Ihre ersten Schlaege sind schwach, ungeziehlt, wie erschoepft; aber sie nehmen an Kraft, an Starke, an Zielgenauigkeit zu, und nach einer halben Stunde ist sie fast wieder die Alte. Sie hat mit meiner Rueckseite angefangen, wohl weil sie bei einem Fehlschlag nicht so viel kaputtmachen kann. Nach einer Stunde macht sie eine Pause. Inzwischen glueht meine ganze Rueckseite, die Tierchen sind wieder da, auf meine Backen, meinem Ruecken. Und ich bin gluecklich. Sie wird wieder gesund. Sie trinkt zwei Liter Leitungswasser auf einmal, hastig, schlingt sie fast herunter, Wasser laeuft ueber ihre Brust, laesst ihr schwarzes T-Shirt an ihrem Busen kleben. Es ist ein anderes T-Shirt, das Blutbefleckte habe ich weggeschmissen. In ihrer ganzen Sporttasche sind nur schwarze Klamotten. Dann bindet sie mich neu, diesmal kopfueber, Beine und Arme gespreizt, mit dem Gesicht zu ihr. Ich weiss, was jetzt kommt. Sie hat Hunger, und inzwischen vermute ich, dass Schmerzen fuer sie etwas wie die grundliegende Kalorienzufuhr bedeuten – und es gibt eine Stelle, wo sie aus mir den hellsten, klarsten, schlimmsten Schmerz herauspressen kann. Ich gebe mich auf, gebe mich ihr hin, Leib, Seele. Sie steht vor mir, aus meiner Perspektive kopfueber sehe ich ihre Beine und Fuesse an besten, sie hat rote Fussnaegel, wie seltsam, dass mir das erst jetzt auffaellt. In ihrer rechten Hand haelt sie eine duenne Bambusrute, mit der anderen streichelt sie meine gespreizten Oberschenkel, meine Vulva, faehrt mit einem Fingernagel an den Lippen entlang. „Ich werde dir jetzt sehr weh tuen, Claudia.“ Ich nicke nur, es ist seltsam, welche Muskeln man kopfueber dazu benutzen muss. Eine Stunde lang landet die Rute auf die Innenseiten meiner Oberschenkel, auf meine Scham, auf die empfindlichsten und intimsten Stellen meines Koerpers. Ich habe noch nie so Schmerzen gekannt, noch nie gewusst, dass etwas so weh tuen konnte. Die Rute faellt, um mir Schmerzen zuzufuegen, kein Gedanke an Lust, an Erniedrigung, oder an Strafe, reiner Schmerz zieht durch meinen Koerper, Schmerzen als Selbstzweck. Ich schreie in meinen Knebel, schreie ihren Namen, immer und immer wieder, voellig unverstaendlich, Speichel und Schweiss und Traenen laufen an meinem Gesicht nach unten, verlieren sich in meinen offenen Haaren. Ich bettele nicht, bitte nicht um Gnade – ich habe inzwischen erst kein Recht auf Gnade, und ausserdem weiss sie, wie weh es mir tut. Das geoeffnete V meiner Beine und die kleine Kerbe an seinem Boden sind rot, geschwollen, wie roh, wie gehaeutet. Ich erinnere mich an einen Spruch, dass jede Menschliche Zivilisation nur zwei Mahlzeiten von der Barbarei entfernt ist. Vier Tage nach ihrem letzten Essen ist Narlinea wie eine Wilde. Irgendwann ist es vorbei. Narlinea bindet mich los, reibt mich wieder mit der Salbe ein, Kamillenebel senkt sich ueber die Wohnung. Ich fuehle mich, als wuerde ich nie wieder die Beine schliessen koennen, Sex wird auf Tage hin nicht mal denkbar sein. Ich traue mich nicht, nach unten zu sehen. Fuer einen Moment frage ich mich, ob ich da ueberhaupt noch Haut habe. Narlinea sieht wie neugeboren aus, frisch, und statt, aber hinter den Augen ist irgendwas noch wie betaeubt, abgerueckt, und viel zu kalt. „Geht es?“ fragt sie, wischt mir die Traenen von der Stirn, die Rotze. Ich nicke, laechle etwas gequaelt. „Sag‘ mir nochmal, wie tapfer ich bin.“ Sie laechelt zurueck, nimmt mich in den Arm, hilft mir ins Bett, wo ich mit gespreizten Beinen liege. Sie kettet mich nicht an, das ist jetzt vorbei. Die Waende meiner Wohnung, die Waende, die mich diese Tage gefaengen gehalten haben, scheinen weiss zu leuchten. Narlinea heilt. Und ich werde es auch. Aber sie heilt langsam. Zwar ist die Wunde an ihrer Wange nur noch zu sehen, wenn man weiss, wo man hinschauen muss, und ihre Nase ist so gerade wie eh und je. Aber ihr Geist hat sich veraendert. Ihre Wildheit ist geblieben, und ihr an Arroganz grenzendes Selbstvertrauen, aber etwas in ihr ist in dieser Nacht aelter, vielleicht reifer geworden. Sie spricht nicht darueber, und ich frage nicht. Wenn sie es will, wird sie mir davon erzaehlen. Die naechsten Tage bleiben wir so gut wie nur im Bett, Narlinea liegt in meinen Armen, wegen der Waerme meines hoeher getakteten Kreislaufs, aber auch wegen der Waerme eines anderen Wesens, auch wenn sie es nie zugeben wuerde. Ich liege mit dem Kopf an ihrer Schulter, geborgen, wie ein Kind. Wir essen zwischendurch, jeder auf seine Art. Zweimal nimmt Narlinea ein selbstgemachtes Gemisch mit Kalzium, Phosphor, Mineralien, Spurenelementen zu sich. Nicht mal Demonias, denke ich, koennen nur von Luft und Hiebe leben. Von dem Maennern hoeren wir nichts. Der Fernseher bleibt aus. Wir reden, mehr einzelne Gespraechsfetzen als durchgehende Diskussionen. „Narlinea?“ Es kommt mir unglaublich vor, dass ich diese Augen jemals haesslich, furchterregend finden konnte. „Ist dieser Krieg zu gewinnen?“ Sie streicht mir eine Locke aus dem Gesicht. Ich druecke meinen Kopf gegen ihre Hand. Ihre Augen folgen meinen Haaren. „Als ich zu dir gekommen bin, war es sehr unwahrscheinlich. Die vier, die mein Vater uns geschenkt hat, haben das Blatt gewendet. Und wenn wir die anderen auch noch kriegen – ja, wir koennen gewinnen.“ „Warum hat dein Vater das getan?“ Sie antwortet lange nicht. „Mein Vater hatte den ersten Neo entdeckt, und als erster verstanden, was er fuer unsere Art bedeutet.“ Ich sage nichts. Warte. „Er war aber der Meinung, dass es einen friedlichen Uebergang geben koennte, dass die anderen Demonius wie er auf Kinder verzichen wuerden, freiwillig, damit das Morden aufhoert.“ „Und du hast nicht daran geglaubt.“ Sie schuettelt den Kopf. „Nein. Ich war immer der Meinung gewesen, dass es Gewalt geben wuerde, vielleicht sogar musste. Aber mein Vater war es, der das Morden beenden wollte.“ „Wie kam er auf die Idee?“ „Durch seinen Vater.“ „Warum?“ Wieder eine lange Pause. Ihr Blick fixiert einen Punkt auf der spiegelnden Oberflaeche meines Schranks, etwa dort, wo mein Schmuck noch immer noch unangetastet liegt. „Mein Grossvater war in Ausschwitz.“ „Hat er ueberlebt?“ Sie schaut mich wieder an. „Du verstehst nicht. Er war Teil der Wachmanschaft.“ Es regnet schon seit Tagen. Ich weiss inzwischen, was die Brutstaetten sind. Narlinea liess beilaeufig fallen, dass junge Demoniakinder noch unreife Darmnerven haben, die nur Trauer empfangen koennen. Das hat es ziemlich eingeengt. Ich habe nicht nach weiteren Details gefragt. Vermutlich werde ich sie frueh genug erfahren. „Was machen wir, wenn alles vorbei ist?“ „Wenn der Krieg vorbei ist, bauen wir ein Studio auf.“ Wir. Jetzt bin ich doch die Sklavin-Zofe ihres Studios. „Geht das nicht auch ohne?“ „Du meinst, du und ich alleine?“ Ich nicke. Die Idee, sie mit jemanden anders zu teilen, ist grausam, aber wenn sie es will, fuege ich mich klaglos. Unsere Beziehung hat eine sonderbare Art der Arbeitsteilung entwickelt: sie tut, wozu sie Lust hat, und ich tue, was sie mir sagt. Sie antwortet zuerst nicht. „Claudia. Weiss du noch, wie du den Kuechenboden geputzt hast?“ Ich habe seitdem nicht wieder ohne einen Schauer ueber den Fussboden gehen koennen. Es war das Erniedrigendste, was man je mit mir gemacht hat. Vielleicht auch das geilste. „Wenn ich dir befehlen wuerde, es nochmal zu tuen, waere das immer noch so erniedrigend?“ Nein. Es waere, nun, wie formulierte man es? Eine Ehre? Es waere ein Zeichen meiner Hingabe an sie, meiner voelligen Widmung, ein Geschenk, das ich willig geben wuerde. Aber erniedrigend? „Nichts, worum du mich bitten koenntest, waere fuer mich noch erniedrigend.“ Sie nickt. „Ohne das Gefuehl der menschlichen Erniedrigung funktionieren aber grosse Teile meines Fettstoffwechsels nicht.“ „Ich reiche dir nicht mehr.“ Ich versuche es als Scherz zu sagen, aber es tut weh, nach allem, was ich durchgemacht habe, soll ich nicht genug sein, muss sie ein anderes Opfer suchen? Sie riecht es natuerlich, zieht mich zu sich. „Du wirst in den naechsten Jahren lernen, wieviel ich dich wirklich brauche. Von allen Menschen wirst du die sein, die ich nie werde ersetzen koennen.“ Sie kuesst mich. Famula, denke ich. Die rechte Hand einer Demonia. „Ich hatte meine Leben bisher etwas anders geplant. Studium, Beruf, Ehemann, Kinder, sowas. Alles wunderbar spiessig.“ Sie laechelt. „Kein Problem.“ „Geht das denn noch?“ „Claudia. Hier werden in einigen Monaten mehr Maenner hinkommen, als du dir vorstellen kannst. Gutsituierte, gebildete, kultivierte Maenner, in jedem Alter, den du dir wuenschen koenntest.“ Sie schaut mich spielerisch von der Seite an. „Ausser, du hast irgendwelche bizarren Neigungen.“ Ich lache. Mit einer sadistischen Mutantin im Bett zu liegen, ist wohl ziemlich schwer zu schlagen. Und alle Maenner werden Sadomasochisten sein, faellt mir ein. Ich denke an die sprichwoertlichen Schwierigkeiten, als Sadomasochist einen Partner zu finden. „Deswegen seit ihr auch ein Selektionsvorteil fuer Masochisten, nicht wahr? Sie lernen sich bei euch kennen. Ihr seit fuer uns Heiratsvermittler.“ Sie nickt. „Deswegen sind wir Symbioten, und keine Parasiten. Und fuer meine Famula gibt es nur das Beste.“ Es passt. Die ganzen Probleme der Partnersuche sind auf das Fehlen der Demonias zurueckzufuehren. Acht Maenner sind vielleicht etwas wenig, um eine Rasse aufzubauen, aber mit der Zeit wird es auch wieder mehr Demonias geben…werden wir eines Tages die „Normalen“ verdraengen? In dieser Nacht wache ich durch Haende auf, die mich streicheln, zwischen den Schulterblaettern, an meinen Lenden, meinem Bauch. Als ich versuche, sie zurueckzustreicheln, drueckt sie meine Haende sanft aber bestimmt weg. Ich liege da, voellig passiv, und lasse mich von ihr verfuehren, ihre Fingerspitzen wie Federn, ihre Zunge an meinem Nacken, an meinen Brustwarzen. Sie weiss wie sie mich beruehren muss, wenn ich noch irgendwelche Zweifel darueber gehabt haette, dass sie meine Emotionen riehen kann, verliere ich sie in dieser Nacht. Sie streichelt mich fuer Stunden, immer naeher an den Hoehepunkt, der mir seit zwei Wochen versagt wurde. Und als ich kurz davor bin, als das Laken unter mir mehr Schweiss als Stoff ist, als meine Haut glueht ohne die Beruehrung einer Rute, hoert sie auf, lehnt sich zurueck, schaut auch mich herunter, zieht ihre Haare wie ein Vorhang von vor ihren Augen zurueck. „Bitte,“ sage ich. Nur ein Wort. Mein ganzes restliches Leben liegt darin. Ihre Lippen beruehren meine, sanft, und dann sind ihre Finger wieder auf mir, in mir, und um mich wird die Welt zu Gold. Langsam wird sie mehr und mehr zur alten Narlinea, etwa in dem Mass, wie meine Striemen von ihrem letzten grossen Gelage heilen. Sie wirkt aelter in ihren Bewegungen, ohne dass auf diesem Gesicht etwas zu sehen waere. Wir reparieren den Fensterrahmen richtig, reissen nach mehreren erfolglosen Reinigungsversuchen den blutverschmierten Teppich im Flur hoch, legen neue Fliesen. Sie arbeitet wieder mit Handschuhen und Schutzbrille, ihre Haende geschickt und schnell. Beschaeftigungstherapie scheint auch fuer Demonias zu funktionieren, denke ich mir. Sie schlaeft jetzt ueberhaupt nicht mehr, schaut schon hin und wieder Nachrichten, und telephoniert mit Leuten im Osten. Ich haben aufgehoert, mir ueber meine Telephonrechnung Sorgen zu machen. Wie sie so richtig gesagt hat, wird das Studio mehr abwerfen, als wir jemals sinnvoll ausgeben koennen. Am naechsten Tag kommen die Maenner wieder, Venarius und der andere, von dem ich inzwischen weiss, dass er Maranus heisst. Narlinea empfaengt sie an der Tuer, fast wieder die alte, aber die uebersprudelnde Freude des liebestrunkenen Teenagers ist verschwunden. Sie wirkt reifer, und zum ersten Mal frage ich mich, wie alt sie wohl wirklich ist. Ich knie nackt zu ihren Fuessen, Beine leicht gespreizt, die Haltung, die einer Famula zukommt. Meine Hand liegt auf auf meinem Oberschenkel, die andere ist um ihr Bein gewickelt, meine Fingerspitzen liebkosen das Leder ihres Stiefels. Ich habe sie gestern saubergeleckt, diese Stiefel, von der Spitze bis zum Rand. Narlinea hat mich nicht darum gebeten, es war einfach etwas, das ich fuer sie tuen wollte. Ein Zeichen ihres Wertes fuer mich. Meine Scham juckt noch leicht von der frischen Rasur, aber die Haut gewoehnt sich daran, und die Striemen auf meinem Hintern haben wieder die parallele Perfektion einer Meisterhand. Venarius kommt zuerst die Treppe hoch, schaut Narlinea an, wuerdigt mich mit keinem Blick. Er sieht absolut erschoepft aus, wie beim ersten Mal, als ich ihn gesehen habe. „Sechs gegen sieben,“ sagt er. Wir wissen mehr, Narlinea hat vorhin telephoniert. „Nein,“ sagt sie stolz. „Vier gegen sieben. Wir haben die Slowakei.“ Venarius nimmt sie in den Arm, haelt sie laenger, als ich ihm zugetraut haette. Maranus schaut mich an, zwinkert mit beiden Augen, symetrisch. Vier gegen sieben. Wir gewinnen. Und einen Tag spaeter sind sie weg, alle drei, auch Narlinea. Ich bin alleine in meiner Wohnung, zum ersten Mal seit zwei Wochen ist es meine Wohnung, kann ich tuen und lassen, was ich will, werde ich nicht taeglich geschlagen, gequaelt, gedehmuetigt. Niemand gibt mir Befehle. Ein freier Mensch. Ich sitze auf einem meiner Kuechenstuehle und heule mir die Augen aus. Vier Alte sind noch unterwegs, und die vier werden verzweifelter sein als alle anderen zusammen. Es ist von zwei Anschlaegen auf Brutstaetten gesprochen worden, der Hochverrat an der Rasse, der totale Krieg. Alle weiblichen Demonias haben sich jetzt endgueltig auf die Seite der Neos geschlagen. Drei der vier sind geortet, einer davon ist der polnische Massenmoerder, die anderen drei sind auch noch im Osten. Narlinea ist in Muenster einfach zu weit von den restlichen Demonias entfernt, um sicher zu sein. Bis die letzten vier Alten tot sind, geht sie zurueck nach Weissrussland, wenn auch zaehneknirschend. Die westlicheste Kolonie der Demonia wird wieder aufgegeben. Aber nur vorlaeufig. Ich solle, wie Narlinea es so schoen formuliert hatte, mich nicht an bequeme Stuehle oder Nachthemden gewoehen. Sie wird wiederkommen. Ich wollte mitgehen, ich gehoere zu ihr, versuche ich zu argumentieren, ich habe doch noch zwei Wochen Urlaub, kein Problem… „Nein“, sagte Narlinea. „Du gehoerst nicht zu mir. Du gehoerst mir.“ Es koenne laenger als zwei Wochen dauern, viel laenger, und wenn sie wiederkommt, wird sie Hunger haben wie ein Baer. Ich muesse hier die Stellung halten, bis sie wiederkommt. Zum Abschied drueckte sie mir meine Haustuerschluessel wieder in die Hand, die Schluessel zu den Manschetten und Schloessern, sie laesst ihre ganze Ausruestung bei mir. Wir kuessten uns zum Abschied, ein langer, richtiger Kuss, ohne Scham kuesste ich vor den anderen Demonius dieses Wesen wie einen Liebhaber. Venarius nickte mir zum Abschied kurz zu, die Augen still und fern. Narlinea traegt seine Nachkommen, und bis zur Sicherheit von Weissrussland ist es weit. Vielleicht muss er nicht mehr toeten, um sich Fortpflanzen zu koennen, aber was hinter diesen Augen wohnt ist alles andere als zahm und zivilisiert. Es wird interessant werden zu sehen, wie er nach dem Krieg wird. Ich werde nicht nur mit ihm schlafen koennen, sagte mir Narlinea, sondern es sogar muessen. Privileg und Pflicht einer Famula, ein anderes Ritual zwischen Menschen und den Demonias, dass beide Seiten aneinander bindet. Sie sagte auch, dass es kein gemuetlicher Ritt sein wuerde. Ich habe nur gelaechelt. Er kann mich umpfluegen, wie er will. Ich werde es lieben. Sie wird in ihrer Reisetasche ein Geschenk von mir finden. Als ich waehrend ihrer Genesung einmal einkaufen war, hatte ich es geholt. Eingewickelt in der Werbebeilage der Samstagszeitschrift, das einzige Papier, das ich auf die Schnelle finden konnte, traegt sie einen kleinen Stein aus Alabaster mit sich nach Osten. Eine Woche spaeter steht in unserer Zeitung: MASSMOERDER IN POLEN TOT (dpa) – Der seit sechs Jahren gesuchte Massenmoerder Randius N. ist gestern tot in einer Warschauer Wohnung aufgefunden worden. Ihm wurden mehrer Morde, darunter zwei an Kindern, zu Last gelegt. Nachbarn hatten den Verwesungsgeruch aus der Wohnung bemerkt. Die Todesursache bleibt unklar, nach Angaben der polnischen Gerichtsmediziner sei die Leiche stark zersetzt gewesen. Die Suche nach Randius N. war zur groessten Menschenjagd im jungen demokratischen Polen ausgeweitet worden. Und FOCUS bringt einen Artikel ueber die dramatisch ruecklaeufige Mordrate in Weissrussland, und einen Interview mit dem Praesidenten, der alles auf seine geniale Politik der Verbrechensbekaempfung schiebt. Die Bundesregierung hat eine Arbeitsgruppe nach Weissrussland geschickt, um die dortigen Polizeimethoden zu studieren. Zwei Tage spaeter liegt ein Brief aus Danzig bei mir im Briefkasten, zwei Zeilen handgeschrieben in einer etwas kindischen Druckschrift, so, als waere der Autor nicht an unsere Schriftzeichen gewoehnt: ZWEI ZU SECHS. HALT MIR DIE RUTEN WARM. In dem gleichen Umschlag ist ein kleines Heft, und als ich die Ueberschrift sehe, muss ich lachen. Night Life in Sydney. Bars, Bordelle, Clubs, Sex-Laeden, und alle Dominastudios sind mit gelben Textmarker hervorgehoben. Narlinea wollte immer raus aus Europa, die Demonias auf andere Kontinente ausbreiten. Soll doch eine weniger reiselustige Demonia das Ruhrgebiet erobern. Ich habe noch drei Tage Urlaub. Vielleicht reicht es doch noch, um nach Australien zu kommen. ENDE
Ansichten: 1605
Hinzugefügt: 6 Jahren vor