Geteilte Welten Kapitel 14 – Das Liebesnest

Das Liebes“Nest“Willy führte sie quer über den Hof; vorbei am Wohnhaus, den Ställen, dem Strohschuppen, in dem sie nach der Party übernachtet hatten. Als sie die hintere Grundstücksmauer erreicht hatten, schwenkte Willy nach links, und sie standen vor einem kleinen, flachen Gebäude. Stumm deutete Willy mit dem Kopf zur Tür. Tim zog den Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn ins Schloss. Was würde sie wohl erwarten? Ganz Gentleman-Like ließ Willy den Beiden den Vortritt. Marko nahm Tims Hand, und sie gingen hinein. Hinter dem kleinen Flur eröffnete sich ihnen ein gemütlicher Wohnraum mit einem Kamin. „Setzt euch!“ forderte Willy die Zwei auf. Tim und Marko nahmen auf dem Sofa Platz, Willy setzte sich in den Fernsehsessel gegenüber. „Etwas verwirrt sahen die Beiden zu Willy. „Unser Gästehaus“, erklärte dieser, „und jetzt Euer, na, sagen wir mal ‚Liebes“Nest“’! Ich weiß“, sprach er weiter, „dass niemand etwas von euch wissen darf – aber auf Dauer könntet ihr ja am See doch mal „erwischt“ werden, so wie gestern von mir. Hier könnt ihr euch treffen, so oft wie ihr wollt, ohne dass es jemand merkt – wenigstens so lange, bis meine Eltern es wieder benötigen, um Gäste zu beherbergen. Vorausgesetzt“, schränkte er ein, „ihr haltet hier selbst alles sauber! Das war eine der Bedingungen, die meine Mutter gestellt hat“. Damit endete zunächst Willys Rede und er schaute die Beiden lächelnd an. Mit offenem Mund saßen Marko und Tim da – sie konnten es kaum glauben, was sie sahen und was Willy ihnen gerade gesagt hatte! „Kommt, ich zeige euch den Rest!“ rief er plötzlich und stand auf. Auch Marko und Tim erhoben sich von der –übrigens saugemütlichen- Couch, und folgten ihm. Vom Wohnraum gingen noch drei weitere Türen ab. Willy steuerte die Tür ganz links an. „Die Küche“, replizierte er wie ein Makler, der potentiellen Kunden eine Wohnung präsentiert. „Aber meine Mutter bittet euch, sie möglichst wenig zu nutzen – klar könnt ihr Sachen in den Kühlschrank tun und euch Kaffee oder Tee machen oder mal nen Toast – aber bitte alles sauber halten!“ versuchte er die Stimme seiner Mutter zu imitieren. Tim und Marko lachten. „Ok, weiter“, meinte Willy und ging zur nächsten Tür. Und hier ist das Bad – für beide gleichzeitig vielleicht etwas eng…“ Das Badezimmer war klein, hatte aber alles, was benötigt wurde: Wasch-becken, Dusche, Toilette. Mehr brauchten sie doch auch nicht, oder? „Und nun das Herz-stück“, sagte Willy in stolzem Ton und breit grinsend, „Eure Spielwiese“. Er stieß die Tür auf und ließ die Beiden eintreten. Hand in Hand und mit strahlenden Gesichtern betraten Tim und Marko das Schlafzimmer. In der Mitte unter dem Fenster stand ein großes, sehr gemütlich aussehendes Doppelbett, rechts an der Wand war ein großer Bauernschrank, links ein kleiner Tisch und ein Stuhl mit einem dicken, bestickten Kissen darauf. Auf dem Bett lag ein von Willy handbemaltes Sc***d, auf dem stand: „Bitte nicht stören!“, rechts und links begrenzt von großen, roten Herzen. Das frisch gebackene Pärchen war sprachlos. Sie schauten sich nur an, und fielen sich in die Arme. Dann sahen sie mit strahlenden Augen und einem grenzenlos dankbaren Gesichtsausdruck zu Willy. „So“, meinte dieser, „nun habt ihr alles gesehen. Gefällt es euch?“ Eine Antwort brauchte er nicht abzuwarten – er sah es ihnen an. „Dann kommt, wir gehen zurück ins Wohnzimmer“. Dort wartete Willys Mutter schon auf das Trio. Sie hatte für jeden von ihnen einen Becher Kakao aus frischer Kuhmilch mitgebracht; sie selbst nippte an einem Glas Tee. „Na Schatz, hast Du ihnen alles gezeigt?“ fragte sie Willy lächelnd. „Ja, Mama“. „Nun gut, dann bin ich ja jetzt wohl dran“. Sie nippte noch einmal an ihrem Tee. „Willy hat mit uns, also meinem Mann und mir, gesprochen. Er hat erzählt, dass ihr Beiden ein Paar seid, und dass es aber keiner erfahren darf. Bei Dir, Tim, kann ich mir sehr gut denken, warum; noch eher als bei Marko…“ Tim lief rot an. „Aber sei `s drum, das müsst ihr selbst entscheiden. Nun kann ich mir gut denken, dass ihr auch gerne mal ungestört sein möchtet – ich war ja schließlich auch mal jung und verliebt“. Dann sprach sie weiter: „Das Ferienhaus nutzen wir schon seit längerem nicht mehr so richtig; außer vielleicht zu Weihnachten, wenn Willys Großeltern hier sind oder sonst mal zwischendurch, wenn wir Feriengäste bekommen. Und man sieht es euch förmlich an der Nasenspitze an, dass ihr euch bestimmt gerne hin und wieder mal „zurückziehen“ wollt“, meinte sie, breit lächelnd. Also kam Willy auf die glorreiche Idee, dass unser Gästehaus genau das Richtige für euch beiden Turteltäubchen sein könnte“. Tim und Marko sahen kurz zu Willy hinüber, dann richteten sich die Blicke wieder auf die Bäuerin. Die ganze Zeit über hielten sie sich fest an den Händen. „So weit, so gut“, fuhr sie fort, „aber natürlich stelle ich gewisse Bedingungen“. Sie sah die Zwei fest an. „Wenn ihr damit einverstanden seid, kommen wir ins Geschäft“.„Erstens“, sprach sie weiter, „hier wird nicht geraucht und kein Alkohol getrunken, klar?“ Tim und Marko nickten. „Zweitens: Keine wilden Parties! Kommt bloß nicht auf die Idee, alle Eure Freunde einzu-laden; die Wohnung ist nur für euch beide.“ Wieder nickten die Zwei stumm. „Und drittens: Ihr hinterlasst die Wohnung so, wie ihr sie jetzt vorfindet. Immer! Euren Abfall könnt ihr bei uns im Container entsorgen. Es bleibt kein Spül stehen, es liegt nichts herum, und – macht mir keine Flecken, wel-cher Art auch immer! Nicht auf dem Sofa, nicht auf dem Bett, und auch nicht auf dem Fußboden oder dem Teppich! Ihr seid selbst dafür verant-wortlich, dass es hier immer pikobello aussieht. Ich räume nicht für euch auf und ich putze hier auch nicht! Habt ihr das verstanden? Und seid bitte sparsam mit Wasser und Strom!“ Wie aus einem Mund antworteten die beiden: „Ja!“ „Ach, und dann noch etwas“. Eine kurze Pause folgte. ‚Jetzt kommt das dicke Ende’, dachten Marko und Tim; ‚irgend ein Haken musste doch noch da dran sein’! Sie sahen sich an, und der Druck ihrer Hände verstärkte sich. „Für Kaminholz müsst ihr schon selbst sorgen, wenn ihr es gemütlich haben wollt. Da hinten im Schuppen findet ihr alles, was ihr braucht“. – Noch immer brachten die Zwei kein Wort heraus. „Außerdem: Wie ihr sicher wisst, kostet so eine Wohnung Geld“, hob Willys Mutter erneut an. Nun will ich euch natürlich nicht Euer Taschengeld wegnehmen; aber ich habe mir gedacht, statt-dessen könntet ihr uns in den Herbstferien ein Wenig bei der Ernte helfen, so als kleine Gegenleistung – was meint ihr?“ Wieder sahen Marko und Tim sich an. „Klar, machen wir!“, riefen sie aus. Sie waren so glücklich! Nachdem die Bäuerin gegangen war, erschall ein Jubelgeschrei. Alles Mögliche hätten sie sich vorstellen können – aber das bestimmt nicht. Tim hatte Willy schon längst alles verziehen, er fiel ihm in die Arme und wollte ihn nicht mehr loslassen. Auch Marko gesellte sich dazu, und so tanzten und hüpften sie, wie in einer großen Traube, immer im Kreis durch das Zimmer. Als sie sich wieder etwas beruhigt hatten, ergriff Willy noch einmal das Wort. „Zwei Sachen will ich aber auch noch los werden“, begann er. Aufmerksam hörten Tim und Marko zu. „Zum einen will ich euch sagen, dass ich auch meinen Eltern nicht alles erzählt habe und es auch nicht tun würde; das müsst ihr mir bitte glauben“. Die Jungs nickten kurz und sahen ihn wieder an. „Und das zweite?“ fragte Tim neugierig. „Das zweite ist, dass ihr euch keine Sorgen machen braucht – hier stört euch bestimmt keiner!“ antwortete Willy hintergründig. Tim und Marko verstanden sofort, was er meinte… Sie saßen wieder auf dem Sofa, Marko hatte seine Schuhe ausgezogen und kuschelte sich mit angezogenen Beinen bei Tim an. Überglücklich sahen sie sich tief in die Augen. Irgendwie hatte Willy jetzt doch das Gefühl, dass er störte. Leise verließ er die Wohnung und zog behutsam die Tür hinter sich zu.

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