Knastbrüder – Teil 1: Unangemeldeter Besuch (

Es war 5.45 Uhr an einem Dienstag im August, als es an der Haustür der Familie Schölmond klingelte. Mirko wachte als erster davon auf.Verträumt schaute er auf seine Uhr und schlug mit der rechten Hand auf den Snooze-Knopf. Doch das Klingeln hörte nicht auf. Als die Lebensgeister langsam in ihn zurückzukehren schienen, wurde ihm klar, dass sein Wecker normalerweise auch nicht klingelte. Normalerweise, so dachte er, müsste da Musik raus kommen.Im Flur ging Licht an. Das konnte er unter der Türspalte sehen.Einen tiefen Säufzer ausstoßend ließ er seinen Kopf zurück ins Kissen fallen. In diesem Moment war er froh, dass er noch bei seinen Eltern lebte. Er war gerade in dem Alter, 20, in dem man ernsthaft über’s Ausziehen nachdachte. Doch als Auszubildender zum Versicherungskaufmann konnte man sich zum Einen keine eigene Wohnung leisten, zum Anderen war es ja auch ganz praktisch, wenn sich die Mutter um Essen und Wäsche kümmerte, das Bett machte und sein Vater vor Gewissensbissen, dass er immer erst so spät von der Arbeit heim kam, ihm hin wieder einen Fünfziger zuschob.Und an Platz mangelte es im Hause Schölmond auch nicht. Ein schmuckes Ein-Familien-Haus auf einem großzügigen Anwesen bot stets Gelegenheit, sich aus dem Weg zu gehen, wenn einem danach war.Er hörte mehrere Stimmen im Flur. Was konnte so dringend sein, dass man um diese Zeit Leute aus dem Bett klingelte?Getrieben von seiner Neugier quälte er sich aus dem Bett, zog sich ein T-Shirt über und schlüpfte in seine Hausschuhe. Mit halb offenen Augen schlürfte er durch den Flur zur Wohnungstür. Schlagartig war er wach.Im Flur standen 5 uniformierte Polizisten, ein älterer Mann in Zivil und seine Mutter. Sie drehte langsam ihren Kopf in seine Richtung und sah’ ihn mit großen Augen an.“Was ist los?” fragte er. “Ist was mit Papa?”. Doch kaum hatte er den Satz beendet hörte er, wie sein Vater hinter ihm in den Flur kam und ebenfalls wissen wollte, was los war.“Sie haben einen Durchsuchungsbefehl!” sagte seine Mutter verstört. “Für Mirko’s Zimmer”. Mirko schaute seine Mutter an, als hätte sie in einer für ihn unverständlichen Sprache gesprochen. Dann blickte er in die ernsten Gesichter der Beamten, dann zu seinem Vater, in dessen Gesicht sich ebenfalls ein Fragezeichen abzubilden schien. Dann ergriff einer der Beamten das Wort.“Ihnen wird ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen”, sagte er mit gelangweilter Miene. “Was?” hauchte Mirko. “Das” – der Beamte wies auf den Mann in Zivil – “ist Herr Gramer von der Stadtverwaltung. Er ist als Zeuge hier. Sie haben natürlich das Recht, einen Rechtsanwalt anzurufen. Zudem haben Sie und Ihre Eltern das Recht nichts zu sagen, was sie belasten würde. Ich brauche jetzt Ihren Personalausweis.”.Offenbar machte er sowas oft. Er leierte Mirko’s Rechte herunter, als hätte er das schon hunderte Male aufgesagt. “Ich habe keine Drogen!” flehte Mirko entschuldigend in Richtung seiner Eltern. Sein Vater hatte seine Mutter mittlerweile in den Arm genommen und beide schauten ihn an, als hätten sie soeben erfahren, dass er nicht ihr Sohn sei.“Keine Drogen” sagte ein anderer Beamte. “Carphedon. Sie können uns eine Menge Arbeit ersparen und Ihren Eltern eine peinliche Hausdurchsuchung, wenn Sie mit uns zusammen arbeiten würden.”. “Carpä… Was?” fasste Mirko die letzten Sätze des Mannes zusammen. “Sie sind doch Kapitän der Schwimm-Mannschaft hier im Sportverein?!”. “Ja” erwiederte Mirko. “Einer Ihrer Mannschafts-Kollegen -oder besser gesagt seine Mutter – hat uns erzählt sie haben ihrem Sohn Phenotropil verkauft”. “Und das ist verboten” fragte Mirko ungläubig. Der Polizist lachte.“Wo haben Sie das überhaupt her?”. Mirko überlegte kurz, ob er überhaupt noch weiter reden sollte. Sah’ man das nicht immer im Fernsehen, dass Polizisten einen in ein Gespräch verwickeln und sie einem daraus später einen Strick drehten? Er hatte sich aber doch nichts vorzuwerfen. “Ich habe 4 Fläschchen von einem Russen bekommen, der mal in unserer Schwimm-Mannschaft war. Das wäre so ein Leistungs-Steigerungs-Ding sagte der, aber ich habe mich nie getraut, es zu nehmen.”. “Also haben Sie es weiterverkauft.”, wollte der Beamte wissen. “Ja” gab Mirko zu.“Schatz, sag’ jetzt am besten nichts mehr, unser Anwalt kommt gleich.” schluchzte seine Mutter. “Herr Schölmond, sollen wir Ihr Zimmer auf den Kopf stellen oder wollen Sie uns die restlichen Fläschchen selber geben?”. “Ich habe nur noch Eines” sagte Mirko leise entgegen dem Rat seiner Mutter. “Sie haben drei Flächschen verkauft?” staunte der Polizist und grinste, als ob ihm gerade ein dicker Fisch ins Netz gegangen sei. Mirko schluckte. “Nicht nur, dass der Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten eine Straftat ist, Dieses ist in Deutschland noch nicht einmal zugelassen.”, belehrte wieder ein anderer Beamte ihn.Mit hängendem Kopf ging Mirko, gefolgt von den Polizisten, in sein Zimmer. Er öffnete einen Schrank und der Mann, der drei grüne Sterne auf seinen Schulterklappen hatte, wies ihn an, nichts herauszunehmen und einen Schritt zurück zu treten, was Mirko dann auch tat. Was nun kömmen würde, wäre wohl peinlicher, als vor seinen Eltern als Drogendealer verhaftet zu werden…Der junge Polizist, der eine Zeit lang in dem Schrank wühlte, holte irgendwann ein Magazin aus dem Schrank und schaute eine gefühlte Ewigkeit darauf. Als er sich zu der versammelten Menge in Mirko’s Zimmer drehte, hatte er ein verschmitztes Grinsen im Gesicht. Offenbar musste er sich das Lachen verkneifen. Ohne ein Wort zu sagen, warf er das Pornomagazin auf Mirko’s Bett und die anderen Staatsdiener sowie seine Eltern starrten auf das Cover, das einen jungen, fast nackten Mann zeigte. Mit großen Augen nahm sein Vater langsam die Zeitschrift in die Hand und schlug sie auf nur um festzustellen, dass in dem ganzen Druckerzeugnis nicht eine einzige Frau abgebildet war. Als er mit einem Entsetzen im Gesicht die Arme hängen lies, faltete sich ein in der Mitte eingearbeitetes, zweifach ineinandergeklapptes Poster auf, das den gleichen Mann wie auf dem Cover zeigte – nur diesmal ganz nackt.Während ein Polizist das Zimmer verlies – offenbar um seinem Drängen laut los zu lachen nachzugeben – schauten ihn seine Eltern fragend an.Was soll’s, dachte Mirko. Wenn er die Gesichter der Beamten richtig interpretierte, würde er sowieso eine ganze Weile nicht zu Hause sein. Dann konnte er es jetzt auch raus lassen. “Mama, Papa: Ich bin schwul!”. Sagte er selbstbewusst und mit genervten, halb offenen Augen. “Und Drogendealer.”, fügte er hinzu. Dass er diesen Nachsatz besser verschwiegen hätte kam ihm, als seine Mutter anfing zu schwanken und kurz darauf von zwei Polizisten aufgefangen wurde, kurz bevor sie auf den Boden aufgeschlagen wäre.“Müssen die Handschellen wirklich sein?” fragte sein Vater, als der junge Polizist, der es offenbar immer noch genoß, das große Geheimnis zu Tage befördert zu haben, an seinen Gürtel griff. Er hatte mittlerweile das gesuchte Objekt gefunden. “Ja, Vorschrift!”.Die Hände hinter dem Rücken gefesselt, wurde Mirko aus dem Haus geführt. Er hinterlies seine geschockten Eltern, für die in der letzten halben Stunde die ganze heile Welt, in der sie sich bislang in Sicherheit wiegten, in sich zusammen brach.Die Männer im Fonds des Polizeiautos fingen jetzt, da seine Eltern nicht mehr anwesend waren, an zu kichern. Sehr Lustig, dachte er. Auf der Fahrt zum Gericht wurde ihm nach und nach bewusst, in welcher Situation er sich befand. Was ist jetzt mit seiner Ausbildung? Wie würde es zu Hause weiter gehen, wenn er zurück käme? Was würden seine Freunde sagen? Die Coolness, die er sich bis jetzt bewahrt hatte, begann zu schwinden.Im Gericht angekommen, wurde er in eine Zelle gesteckt. Sie war trostlos. Auf etwa 6 Quadratmeter befanden sich ein Bett, ein Tisch samt Stuhl und im hinteren Eck eine Kombination aus Waschbecken und Toilette aus Edelstahl. Die Wände waren gekachelt, die Matraze auf der Pritsche mit einem hässlich-grünen Gummibezug versehen. “Mist” sagte Mirko wissend, dass ihn niemand hörte. Entmutigt lies er sich auf das Bett sinken und legte seinen Kopf in seine Hände, die Ellenbogen auf seine Knie gestützt.Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als die massive Stahltür aufgeschlossen wurde und eine Frau in Uniform ihm ein Tablett reinreichte mit einer Tasse Tee, zwei Scheiben Brot und ein paar Wurstscheiben.“Na immer hin” dachte er, schaute die Frau an und fragte “Wie lange muss ich hier drin bleiben?”. “Bis ein Haftrichter frei ist.” sagte sie forsch und verschloss die Tür hinter sich. Der Tee war eklig und das Brot alt und vertrocknet.Er muss Stunden auf dem Bett gelegen haben, als die Tür aufging und er herausgebeten wurde. Man führte ihn in ein kleines Zimmer mit Gittern an den Fenstern (immerhin hatte es Fenster). In der Mitte stand ein großer Tisch, an dem bereits ein sehr junger Mann in Anzug saß. “Ich bin Thorsten” sagte er. “Thorsten?” fragte Mirko. War es jetzt üblich, dass man sich im Gericht mit Vornamen ansprach? Der Mann legte ein beruhigendes Lächeln auf. “Ich bin Dein Anwalt, Mirko”.Der Mann sah nicht viel Älter aus als er und sofort begann Mirko an dessen Qualifikation für den Job zu zweifeln. “Wie alt bist Du?” fragte er. “29″ antwortete Thorsten. “Meine Eltern schicken einen Praktikanten zu meiner Verteidigung?” sagte Mirko entsetzt und schaute sich um, ob entweder ein richtiger Anwalt oder eine versteckte Kamera irgendwo zu entdecken waren. Thorsten, der diese Reaktion offenbar schon gewohnt war, lächelte weiter und wies Mirko an, sich zu setzen.“Es stimmt, ich habe noch nicht die Berufserfahrung wie einer, der schon graue Haare hat, aber seien wir ehrlich: Der Fall ist weder besonders kompliziert noch dramatisch. Du stehst das erste mal vor Gericht, das hier war bloße Naivität und Du hast auch schon alles zugegeben, was man Dir vorwirft – und mehr”. Er legte vorwurfsvoll die Stirn in Falten. “Ich rechne damit, dass ich Dich gleich wieder nach Hause mitnehmen kann, dann folgt irgendwann die Hauptverhandlung und Du kommst mit Sozialstunden oder einer Geldstrafe davon”.So wie er das sagte, klang alles auf einmal gar nicht mehr so dramatisch. Er war sich offenbar sicher. Und auch wenn er nicht “die” Berufserfahrung hatte, so hat er immerhin studiert und war siegessicher. Mirko beruhigte sich etwas.“Und jetzt?” wollte Mirko wissen. Thorsten sagte “Wir warten, bis wir zum Haftrichter gerufen werden.”. Das dauerte etwas und so unterhielten sie sich über Belanglosigkeiten. Dann kam eine Beamtin in den Raum und teilte ihnen mit, dass es jetzt soweit sei. Sie wurden durch lange Gänge geführt in einen kleinen, unscheinbaren Raum. An der Wand mit den Fenstern war eine kleine Empore aus Holz, auf der ein Richter in lockerer Kleidung an einem Tisch saß, der von einer Holzverkleidung verdeckt wurde. Neben ihm saß eine junge Frau, die offenbar das Protokoll führte. Thorsten und Mirko setzten sich an der gegenüberliegenden Wand an einen Tisch mit zwei Stühlen.“Herr Schölmond,” begann der Richter “Ich habe mir eben durchgelesen, was Ihnen vorgeworfen wird.”. Er wiederholte im Wesentlichen das, was der Polizist ihm morgens bereits mitgeteilt hat. Dann ging er auf einen Bericht des Polizisten ein, mit dem er sich bei der Durchsuchung unterhalten hatte. Zum Glück war der Bericht wohl sachlich und der kleine “Zwischenfall” blieb unerwähnt.“Sie sind sich bewusst, dass Sie damit ein umfängliches Geständnis abgegeben haben?” fragte der Richter. Thorsten antwortete für mich. “Euer Ehren,” der Richter verdrehte die Augen. “mein Mandant war sich über die Tragweite seines Gesprächs mit dem Beamten nicht im Klaren, in einer solchen Situation, morgens kurz vor sechs ist es nicht verwunderlich, wenn man sich an Details aus der Vergangenheit nicht mehr so erinnern kann.”. Der Richter schaute mißtrauisch. Dieser Blick wurde ernster, als Thorsten anfing, den Richter über dessen Aufgaben zu belehren. “Wir sind doch hier, damit Sie beurteilen, ob von Herrn Schölmond eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, eine Fluchtgefahr besteht oder Verdunklungsgefahr. Sie wollen mir nicht allen ernstes weis machen, dass dies in dem hier zu verhandelnden Fall vorliegt.”. Zufrieden lehnte er sich zurück und schaute mich mit einem arroganten und siegessicheren Lächeln an.Der Richter zog seine Brille von der Nase, schaute Thorsten ernst an und sagte “Danke, dass Sie mich an meine Aufgabe hier in diesem ehrenwerten Haus hinweisen, Herr Anwalt. Leider haben Sie vergessen zu erwähnen, dass ich auch die Frage des dringenden Tatverdachts zu beurteilen habe. Und der liegt in diesem Fall sogar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor. Ihr Mandant wird also bis zur Hauptverhandlung in Untersuchungshaft bleiben. Ich werde der Staatsanwaltschaft empfehlen, das Verfahren zu beschleunigen.”. Mirko schaute zuerst Thorsten an, aus dessen Gesicht sowohl das Lächeln als auch die Farbe verschwunden waren. Dann sah er rüber zum Richter, der sich ein paar Notizen in der Akte machte.Schon stand die Beamtin wieder neben ihm und packte ihn am Arm.Immer noch irritiert von der fliesbandartigen “Abfertigung” wurde Mirko wieder zu einem Polizeiauto geführt, das ihn in die nächste Justizvollzugsanstalt brachte. “Cool bleiben” sagte er sich nur noch. Mit Thorsten wird er noch ein Hühnchen zu rupfen haben, wenn ihn seine Eltern überhaupt weiter engagierten. Seine Eltern. Was sie wohl jetzt gerade durchmachten? Es war schon Nachmittag. Sie machten sich bestimmt Sorgen, weil sie von ihm noch nichts gehört hatten.Ihm gingen wieder die selben Gedanken wie am Morgen durch den Kopf. Ausbildung, Familie, Freunde. Aber irgendetwas in ihm nährte die Vermutung, dass das nicht seine größten Probleme in den nächsten Tagen und Wochen sein werden…

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