1. CSD? CSD!Ich lief nun fast immer und überall, wo es möglich war, nackt herum – in meiner Wohnung sowieso – machte mich schlau über „geheime“ FKK- Plätze, an denen sich nur Männer trafen, und wagte im Urlaub meine erste Nacktwanderung. Auch lud ich selbst zu Nackttreffen bei mir ein – doch schnell merkte ich, dass die Meisten meiner Gäste Nacktsein direkt mit Sex haben gleichsetzten, und enttäuscht wieder gingen, weil ich da etwas anderer Ansicht war. Außerdem fotografierte ich mich selbst, an allen möglichen Orten und in allen möglichen Positionen, und stellte die Bilder in die Foren ein. Meinen Versuch, über Kontaktanzeigen einen Mann kennen zu lernen, gab ich dagegen schnell wieder auf.Bei einem meiner Nackttreffen lernte ich den Vorsitzenden des CSD- Vereins in unserer Stadt kennen. Es war im Frühjahr vor 3 Jahren, und die „heiße Phase“ der Vorbereitungen war bereits angelaufen. Er erzählte davon, welche Gäste erwartet würden, welche Aufgaben die Vereinsmitglieder haben, wie viele Wagen und Fußgruppen bereits zur Parade angemeldet waren, wo die Parade überall entlang zieht – und dass der CSD zum ersten Mal vom Verein allein organisiert wird und noch jede Menge helfende Hände gebraucht würden. „Hättest Du nicht Lust, dabei zu sein?“ fragte er mich schließlich, als er sah, dass ich Feuer gefangen hatte. So richtig wusste ich zwar noch nicht, was der CSD überhaupt ist, machte mich dann aber erstmal schlau; Aha! Der Christopher Street Day – ich las nach, wie alles begann und warum es diese Veranstaltung überhaupt gibt. Sich einsetzen für die Rechte der Schwulen und Lesben – ja klar, warum eigentlich nicht?Also stürzte ich mich mitten hinein – es war eine schöne Abwechselung zum Alltagstrott, und die Truppe war einfach nur gut drauf. Es machte Spaß, mitzumischen, Plakate und Flyer in den Kneipen und Treffpunkten zu verteilen, und einfach mit dafür zu sorgen, dass wir ein tolles Wochenende haben würden. Der Termin rückte immer näher, dann war es endlich soweit. Also alles aus dem Keller hoch schleppen, Probe-Aufbau der Zelte und Pavillons für den VIP- und Backstage- Bereich, zusammenräumen, was zusammen gehörte – schließlich wurde es Ernst. Der ganze Kram wurde in einen LKW verladen, und zum Veranstaltungsort gebracht.Zum allerersten Mal fand „unser“ CSD an einem neuen Veranstaltungsort statt – direkt am Rhein, und ganz in der Nähe der politisch Verantwortlichen. Schließlich ist der CSD – der Christopher Street Day – auch und besonders eine politische Veranstaltung! Aber erstmal ging es nun ans Aufbauen; und auch die ersten Bier- und Verkaufsbuden fuhren auf den Platz und begannen, sich breit zu machen. Die Bühnenbauer erschienen kurz danach, im Laufe der nächsten zwei Stunden nahm die Bühne langsam Gestalt an, und wir konnten nun endlich damit beginnen, mit Baustellenzäunen den nicht einsehbaren Bereich hinter der Bühne abzugrenzen. Nach fast endlosem Schleppen von Absperr- Gittern und Aufbau und Einrichten der Zelte und Pavillons war dann endlich alles fertig, der CSD konnte beginnen!Es war genial – auch wenn ich in diesem ersten Jahr noch als Wagenengel bei der Parade am Sonntag mitlaufen musste, anstatt auf dem ersten Wagen mitzufahren. Die Moderatoren und Künstler gaben alles, das Publikum war begeistert – und wir (das Team) hatten Stress ohne Ende. Ständig waren wir damit beschäftigt, Fragen zu beantworten, Getränke von einer Ecke in die andere zu schleppen, den nach und nach eintreffenden Künstlern ihre Plätze zuzuweisen, Falschparker zu verjagen oder uns darum zu kümmern, wenn einer der Verkaufsstände keinen Strom mehr hatte. Doch irgendwo war es ein schöner Stress; das Team verstand sich, einer war für den Anderen da und man half sich untereinander aus; auch ohne große Planung sprangen wir ein, wo es nötig war. Immer mehr Besucher füllten den Platz; und auch bei der Parade war ich erstaunt, wie viele Leute an der Strecke standen und uns zuwinkten. Auch wenn noch längst nicht alles perfekt war, wir waren angekommen – der erste CSD in Eigenregie hat sein Ziel erreicht!Am letzten Abend der Veranstaltung standen wir vom Team dann alle auf der Bühne, zur Musik von „My Way“ verabschiedeten wir uns von unseren Besuchern. Es war ein Gefühl, das mir einen wohligen Schauer nach dem Anderen über den Rücken fahren ließ – noch nie zuvor hatte ich vor so vielen Leuten auf einer Bühne gestanden. Es war bereits dunkel – und wir warfen Rosen ins Publikum. Als dann alles vorbei war und der Platz leerer wurde, begannen wir mit dem Abbau – schließlich musste am nächsten Morgen alles so aussehen, als wären wir nie da gewesen! Endlich hatten wir es geschafft – inzwischen war so um die 1 Uhr in der Frühe. Auf dem leeren Platz gönnten wir uns noch ein Gläschen Prosecco. Ein paar von uns verabschiedeten sich, wir Anderen zogen noch weiter, in eine gemütliche Kneipe im Bermuda- Dreieck. Danach habe ich nicht mehr auf die Uhr geschaut – ich glaube es war so gegen sechs Uhr, als ich endlich, nach einem etwas längeren Weg als üblich, zu Hause ankam. Im Laufe des Sommers besuchten wir als Team noch einige andere CSD´ s in den Nachbarstädten, und hatten viel Spaß miteinander.Wir bekamen sogar einen Preis! Im darauf folgenden Januar wurde unser CSD zum besten Event des Jahres gekürt; die Szene- Zeitschrift aus unserer Region hatte ihre Leser aufgefordert, darüber abzustimmen. Feierlich wurde uns der Award übergeben – eine tolle Belohnung für jede Menge Arbeit und Schweiß; er machte uns stolz und spornte uns an, im nächsten Jahr noch besser zu werden. Seit dem bin ich fest dabei, im nächsten Jahr ist es dann das vierte Mal – und es ist immer wieder ein Erlebnis.
Ansichten: 919
Hinzugefügt: 6 Jahren vor